Vielleicht birgt die Leere eine Leichtigkeit, wie wir sie nicht erahnen. Gerade im Dezember.
Im Dezember träume ich davon, leicht zu sein. Ich spreche nicht von Diät. Ich mag Apfel, Nuss und Mandelkern. Ich mag mein dänisches Weihnachtsherz, den Adventkranz aus Silber, Stechapfelzweige, rote Schleifen, und die CDs mit den Bachkantaten warten auch schon das ganze Jahr darauf, gespielt zu werden. Meine Ausstechformen krame ich hervor und hundertdreißig andere Dinge, die meine Wohnung in eine Weihnachtswohnung verwandeln. Einmal las ich von einer Frau. Sie rechnete ein bisschen und kam zu dem Ergebnis, dass sie sich ihr Leben nicht mehr würde leisten können, wenn sie erst Rentnerin wäre. Deshalb trug sie all ihre Ersparnisse zusammen und baute sich ein winziges Haus, in dem sie fortan leben würde. Es hatte einen einzigen Raum, einen Walnussbaum im Garten und einen Holzofen, damit es warm war. Aus ihren Habseligkeiten wählte sie, was sie wirklich brauchte und wollte. Den Rest verkaufte sie. Mir geht diese Frau nicht aus dem Kopf. Was würde ichwählen, wenn ich, sagen wir, hundert Dinge zum Leben behalten dürfte? Essen nicht eingerechnet, aber Möbel, Bücher, Küchengerät, Kleider, Fahrradkorb und Blumenvase. Für welche Dinge würde ich mich entscheiden? Macht das, was man hat, selig? Der Dezember erzählt das Gegenteil. Eigentlich jedenfalls. Stall, arm, Kind, Flucht. Sie kennen die Geschichte. Gott ist genau da zu finden, wo nichts ist. Wir behängen das Nichts mit Tannenzapfen und goldenen Herzen. Es sind längst keine Symbole mehr, keine Hinweise auf einen Traum aus ferner Zeit. Es ist Dekoration einer heilen Welt, die in Wirklichkeit genauso wenig heil ist, wie die Herzen aus Gold sind. Können wir die Leere nicht ertragen? Oder ist es die Angst, tatsächlich Gott zu begegnen und erschüttert zu sein, weil diese Begegnung so anders ist als vorgestellt? So jedenfalls erzählt es die Geschichte. Stall, arm, Kind, Flucht. Siehe oben. Wir dagegen romantisieren. Was geschähe, wenn wir es nicht täten? Wenn die Krippe kahl und leer im Raum stünde, einen ganzen Dezember lang? Wenn sie erinnern würde an das, was fehlt, was wir wirklich und schmerzlich vermissen? Der Advent ist ja eine Fastenzeit. Das klingt so streng. Die Kirche schon wieder. Immer will sie den Spaß verderben, wenn wir es gerade nett haben. Jeder, der schon mal gefastet hat (egal ob freiwillig oder gezwungen durch einen maladen Darm), kennt das Gefühl der Leichtigkeit nach den ersten schweren Tagen. Plötzlich wieder Schweben können. Empfindsam sein bis in die Fingerspitzen. Hellhörig. Vielleicht birgt die Leere eine Leichtigkeit, wie wir sie nicht ahnen. Vielleicht wird in der Leere ganz deutlich sichtbar, was Goldstaub nur verdeckt. Sie wissen schon: Ein Stern geht auf, ein Ros’ entspringt.
„Und ich wandre aus den Mauern, bis hinaus ins weite Feld; hehres Glänzen, heil’ges Schauern! Wie so weit und still die Welt! Sterne hoch die Kreise schlingen, aus des Schnees Einsamkeit steigt’s wie wunderbares Singen – O du gnadenreiche Zeit!“