Es ist krass, wie anders unsere Kulturen sind, und trotzdem sind wir befreundet!“ Doris Kuttner sinniert über die prägende Begegnung des vergangenen Jahres. Im August traf die Studentin aus Oberösterreich in Chicago eine fast gleichaltrige Frau aus Kirgisien, Nurgiza Kumushbek, die sie eigentlich seit ihrer Kindheit schon als eine Art Schwester begleitet hatte. Doris’ Mutter Rosa Kuttner unterstützte Nurgiza 13 Jahre lang mit einer Patenschaft. Nurgiza wuchs mit drei Schwestern im SOS-Kinderdorf Bishkek in Kirgisien, einer ehemaligen Sowjetrepublik, auf. 30,00 Euro investierte die Pfarrsekretärin aus Freistadt monatlich in die Bildung der Waise. Zum Geburtstag und zu Weihnachten schickte Frau Kuttner auch Briefe an das Patenkind. „Weil unsere Tochter Doris nur ein Jahr jünger war, habe ich in jedem Brief von ihr erzählt.“ Und umgekehrt erfuhr Familie Kuttner über Briefe aus Kirgisien viel über die Entwicklung von Nurgiza.
WIEDERSEHEN MACHT FREUDE
Mit dem 18. Geburtstag endete die Patenschaft. Ein Jahr später heiratete Nurgiza, der Kontakt brach ab. Bis eines Tages ein Mann anrief. Es war Nurgizas Ehemann, Mairambek. Es folgten mehrere Skype-Sessions, dann brach der Kontakt wieder ab. Im März 2016 kontaktierte Rosa Kuttner wieder einmal Nurgizas Skype-Profil und sah dort ein kleines Mädchen. War Nurgiza Mutter geworden? Ja, Jamina bereicherte die Familie. Seltsam nur, dass die Skype-Nachrichten immer um drei Uhr früh geschrieben wurden. Das Rätsel wurde gelöst: Nurgiza lebte inzwischen in Amerika. Sie hatte mit ihrem Mann eine begehrte Greencard gewonnen. Das bedeutete, die Familie konnte fünf Jahre in den USA leben und sich dort eine Existenz aufbauen. Nun war Rosa Kuttner alarmiert, denn ihre Tochter Doris arbeitete gerade als Au-pair in Washington D. C.
DIE UNGLEICHEN SCHWESTERN
Fünf Monate später landete das Flugzeug aus Washington mit Doris Kuttner auf dem Flughafen Chicago. „Ich war so neugierig, wie Nurgiza aussieht. Und dann stand sie vor mir und war viel kleiner und zierlicher, als ich gedacht hatte.“ Für die beiden jungen Frauen war das aber kein Hindernis, einander ausgiebig zu drücken, zu kneifen und abwechselnd miteinander zu lachen und zu weinen. „Es war so unglaublich. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass Nurgiza zu unserer Familie gehört und wie eine Schwester für mich ist. Und nun waren wir wirklich zusammengekommen“, erzählt Doris Kuttner.
Die reiselustige Frau, die Statistik studiert, und die familienorientierte Nurgiza, die keinen Beruf hat, aber inzwischen das zweite Kind – da trafen zwei Welten aufeinander. „Nurgiza ist Muslima und sehr geprägt durch das Selbstbild, nicht aufzufallen, ganz für die Familie da zu sein“, sagt Doris. Ihre Mutter Rosa ergänzt: „Aber sie ist auch mutig, immerhin hat sie einen Mann geheiratet, dessen Familie sie als Kinderdorfkind abgelehnt hat.“ Der Architekt und seine Frau wollen nach den Jahren in Amerika zurück nach Kirgisien, um sich dort für die Kinderdorf-Idee zu engagieren.
„Umarme deine Mama, ich als Mann von Nurgiza bin so dankbar, dass sie ein gutes Leben durch die Unterstützung haben kann“, gab Mairambek Doris mit auf den Weg. „Was du dir da Schönes hättest leisten können“, meinten manche Bekannte von Rosa Kuttner angesichts der Summe, die im Lauf der Jahre an das ferne Patenkind gegangen ist. „Es kam von Herzen“, sagt sie, um gleich wieder ein paar Tränen zu verdrücken, weil sie nun doch zwei Töchter hat, wie sie sich das immer gewünscht hatte.
Titelfoto:
Nurgiza Kumushbek (rechts) traf Doris Kuttner, die Tochter ihrer „Patin“ Rosa. Nurgizas Mann Mairambek und Tochter Jamina ließen sich das nicht entgehen.
Erschienen in „Welt der Frau“ 02/17 – von Christine Haiden