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10/24

Heute Tom, morgen Lukas

Was Mingles in Beziehungen suchen. Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Liebeszustand: den Mixed Single, kurz „Mingle“ genannt. Nach Phasen inniger Nähe gehen die Partner plötzlich wieder auf Distanz und zelebrieren Unverbindlichkeit. Wird Liebe zum bloßen Konsumgut? Oder bieten die unbegrenzten Möglichkeiten eine Chance zur Entdeckung wahrer Bedürfnisse?

Natürlich haben wir Sex. Ein Paar sind wir trotzdem nicht“, sagt Lena Hofer*. Mit gekreuzten Beinen sitzt die 24-jährige Oberösterreicherin auf dem Sofa ihres Wohnzimmers und erzählt von ihrer Beziehung zum 31-jährigen Immobilienmakler Tobias Berger*, die aber keine feste Partnerschaft sei. Er bezeichne sich als „Single“, lebe allein in einem Haus, 15 Minuten entfernt von ihrer Wohnung, erklärt Hofer. Die kurze Distanz macht’s möglich, dass die beiden kinderlosen jungen Leute mehrmals in der Woche Zeit miteinander verbringen. Dann kuscheln sie abends, sehen fern, lachen und reden. Ihre Kosenamen füreinander, nämlich „Muzi“ und „Mulchi“, deuten auf Vertrautheit hin. Genauso wie die unzähligen SMS, die sie einander täglich schicken. Und trotzdem ist da kein harmonischer Liebesalltag. „In einem Moment fühlt es sich beständig an, im nächsten unsicher“, sagt die Arzt­assistentin. Tobias wolle der Beziehung keinen offiziellen Status geben, erzählt Hofer weiter. Jedes Mal, wenn sie ihr „Gspusi“ frage, ob sie nun „fix zusammen“ seien, antworte er: „Es ist doch gut, so wie es ist. Wir verstehen uns und haben Spaß. Das reicht doch, oder?“ Mit diesen Worten zieht sich ihr Liebster auch schon wieder aus der Zweisamkeit zurück und ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Eine Achterbahn der Gefühle. Ihr Verhältnis sei etwas Halbes, nichts Ganzes. „Wir sind eben ,Mingles‘. Wie viele andere“, betont Hofer.

Revolution der Liebe

„Verliebt, verlobt, verheiratet – so heißt das Spiel zu zweit“, sang Peter Alexander im Film „Der Musterknabe“. Das war 1963, als Liebe noch überschaubar schien. Rund 58.000 ÖsterreicherInnen gingen damals den Bund der Ehe ein. Die Scheidungsrate lag bei 14 Prozent. Die meisten Paare blieben zusammen, selbst dann, wenn die Zweisamkeit unerträglich wurde. Die monogame, lebenslange Zweierbeziehung war Ideal und Norm. Wer davon abwich, war geächtet und wurde bedauert. Unangebrachte Liebeleien wurden im Geheimen gelebt, auch neben den bestehenden Vorzeige-Ehen. Erst die sexuelle Revolution der 1968er-Bewegung brachte den Wandel. Freie Liebe und Selbstbestimmung hießen die Gebote der Stunde. Heute wird ungeniert über „LebensabschnittspartnerInnen“, „Sexfreundschaften“ sowie eben „Mingles“ gesprochen.
Die Rahmenbedingungen sind verschieden. Beschränken sich Sex­freundschaften auf körperliche Intimität und Lebensabschnittspartnerschaften auf einen begrenzten Zeitraum, gestalten sich „Mingle“-Beziehungen komplizierter. Der Begriff ist eine Wortkreation aus „mixed“ und „single“ und bedeutet: „Offiziell bin ich solo, aber wenn ich Lust auf Nähe habe, steht jemand zur Verfügung, mit dem ich mein Bedürfnis ausleben kann.“

Generation „Yolo“

Auf das „Mingle“-Phänomen aufmerksam wurde der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann. Den Trend zur lockeren Bindung ohne Verpflichtungen beobachtet er seit der Jahrtausendwende. „Die Scheidungsraten steigen kontinuierlich, klassische Familien werden zur Minderheit. Menschen bleiben soziale Wesen, suchen Liebe und Gemeinsamkeit, wollen ihre Persönlichkeit aber immer weniger einer Ehe unterordnen“, sagt er. Im Vergleich zu 1963 gaben sich im Vorjahr rund 13.000 Menschen weniger, also 45.000 ÖsterreicherInnen, das Jawort. Zwar waren das etwa 8.000 mehr als 2014, dafür wurden rund 16.000 Ehen wieder geschieden.
Eine fixe Bindung ist für „­Mingles“ nicht das Ziel. „Sie verbinden das Beste aus beiden Welten: Einerseits schätzen sie die Freiräume des ­Single-Lebens, andererseits genießen sie jene Vertraut- und Geborgenheit, die Paare erleben“, sagt Eric Hegmann, Singlecoach der Onlinepartnerbörse „Parship“. Jeder Mensch brauche Nähe, doch das bedeute für viele noch lange nicht, dass sie sich festlegen wollen. Schon gar nicht, wenn unbegrenzte Möglichkeiten locken. „Yolo – you only live once!“ – „Du lebst nur einmal, nutze deine Chance!“ – lautet das Motto der Jugendlichen von heute. „Selbstverwirklichung“ steht bei vielen 18- bis 30-Jährigen an oberster Stelle. Sich fix binden würde bedeuten, womöglich etwas zu verpassen. Vielleicht wartet ja noch jemand anders auf mich?

Lesen Sie weiter in „Welt der Frau“ 10/16.

Die Stärke der losen Bindungen

Das Ausbalancieren von Nähe und Distanz sei die große Schwierigkeit in einer Beziehung, meint Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier.

Wie konnte ein Beziehungsmodell wie jenes der „Mingles“ überhaupt entstehen?

© jugendkultur.at

© jugendkultur.at

Bernhard Heinzlmaier: Soziologisch gesehen gibt es zwei große Tendenzen in unserer heutigen Gesellschaft: die Individualisierung und die Pluralisierung. Das heißt, dass sich der Einzelne ins Zentrum des Universums stellt und es gleichzeitig zahlreiche Möglichkeiten und Angebote gibt, seine Biografie zu gestalten. Die „Mingle“-Beziehung symbolisiert das Spiel mit Nähe und Distanz. Beides braucht der Mensch für seine Entwicklung. Das für den Einzelnen richtige Maß muss aber erst ausbalanciert werden.

Für Bernhard Heinzlmaier vom Institut für Jugend­kultur­forschung Wien haben lockere Beziehungen nichts mit weniger emotionaler Qualität zu tun.

Mehr dazu in „Welt der Frau“ 10/16.

„Die Liebe ist das höchste aller Gefühle“

Josef Lugmayr ist Theologe und Leiter der Abteilung „Ehe und Familie“ der Diözese Linz. Er ermutigt, wieder mehr zu vertrauen.

Wie sieht man die „Mingles“-Beziehung in der katholischen Kirche?

© privat

© privat

Josef Lugmayr: Die gesellschaftlichen Entwicklungen geschehen, egal ob man sie gut findet oder nicht. Es gibt keine Institution, die Liebe und Beziehung vorgeben kann, und Papst Franziskus weiß, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die Kirche diesbezüglich viel Einfluss hatte. Auch in Rom wird registriert, wohin sich das Beziehungsverhalten entwickelt. Es gibt Tendenzen, die schon als problematisch angesehen werden, zum Beispiel wenn jeder schaut, die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und weniger auf die Partnerin/den Partner achtet. Eine tiefer gehende Beziehung kann so nicht entstehen.

„Man sollte vertrauen lernen und nicht Distanz wahren“, sagt Josef Lugmayr. Für den Theologen ist es wichtig, dass die Menschen sich wieder mehr auf ihr Gefühl verlassen. www.beziehungleben.at 

„Eine Beziehung ist die Chance, sich selbst näherzukommen“

Seit Jahren arbeitet die Ennser Psychotherapeutin Silvia Dirnberger-Puchner mit Menschen, die unter Bindungsangst leiden. Gemeinsam mit ihnen versucht sie, alte Beziehungsmuster zu durchbrechen.

Werden die Beziehungen in unserer Gesellschaft immer unverbindlicher?

© Robert Maybach

© Robert Maybach

Silvia Dirnberger-Puchner: Was ich bei meiner Arbeit mit Menschen erlebe, ist, dass sich eigentlich jeder nach einer sicheren Beziehung sehnt, selbst diejenigen, die in losen Bindungen leben. Werte wie Treue und Nähe werden von ihnen ganz hochgestellt. Das heißt, die Menschen sind nicht grundsätzlich unverbindlich, sondern verängstigt. Bindungsangst hat es schon immer gegeben, nur kann man sie heute, durch lose Beziehungsformen, gut kaschieren. Hinter Unverbindlichkeit versteckt sich meist ein Schutzmechanismus. Man hat Angst vor Verletzung und Kontrollverlust. Diese Menschen haben oft keine sichere Bindung in der Kindheit erlebt, deshalb finde ich es nicht gut, die „Mingles“ zu idealisieren. Die Scheidungsraten sind deutlich gestiegen, und Kinder aus Scheidungsfamilien entwickeln oft ein Liebesideal, das nicht erfüllbar ist. Sie möchten sich vor dem, was ihren Eltern passiert ist, schützen. Dadurch kommt es zu noch mehr Enttäuschungen und somit auch wieder zu mehr Bindungsstörungen.

Für die Psychotherapeutin Silvia Dirnberger-Puchner steckt hinter einer unverbindlichen Beziehung oft eine Bindungsangst oder -störung.

Mehr dazu in „Welt der Frau“ 10/16.

Die Merkmale von Bindungsstilen

Sicherer Bindungsstil
Es fällt leicht, sich auf jemanden einzulassen. Die Nähe, Liebe und Selbstständigkeit des Partners beziehungsweise der Partnerin kann man sehr gut annehmen. In der Beziehung herrschen Akzeptanz, Vertrauen und Einfühlsamkeit.

Vermeidender Bindungsstil
Schnell fühlt man sich eingeengt, betont die eigene persönliche Freiheit und zieht sich zurück, sobald es zu nah wird. Man möchte die Selbstständigkeit auf keinen Fall aufgeben und will nicht von anderen abhängig sein.

Besitzergreifender Bindungsstil
Fragen wie „Bin ich gut genug für meinen Partner?“ und „Wird er mich eventuell verlassen?“ quälen besitzer­greifende Menschen. Es besteht eine starke Sehnsucht nach Nähe, die der Partner aber nie so erfüllen kann, wie man es sich wünscht. Man ist sehr eifersüchtig und klammert sich an den anderen aus Angst, ihn zu verlieren.

Ängstlicher Bindungsstil
Es kann zum Partner nur sehr schwer Vertrauen aufgebaut werden, enge Bindungen werden deshalb meist auch gemieden. Ängstlich gebundene Menschen stehen in einem ständigen Annäherungs- und Vermeidungskonflikt. Sie sehnen sich nach Nähe, gleichzeitig fällt es schwer, diese zuzulassen.

Erschienen in „Welt der Frau“ 10/16 

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  • Veröffentlicht: 10.10.2016
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