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03/24

Mein Weg zurück

Mein Weg zurück

Drei Frauen erzählen, warum irgendwann nichts mehr ging. Und wie sie nach ihrem ­Burn-out den Weg zurück ins Berufsleben geschafft haben.

Als Silke Bernhardt vor sechs Jahren ihren Tiefpunkt erreichte, war sie Projektmanagerin in einer großen IT-Firma und alleinerziehende Mutter einer schulpflichtigen Tochter. Zu Kinderbetreuung und 60-Stunden-­Arbeitswoche kam das Engagement in Vereinen und der Flüchtlingshilfe. Bis plötzlich gar nichts mehr ging: „Jeden Morgen auf dem Weg in die Arbeit war mir speiübel“, erzählt die 42-Jährige. „Ich stellte fest, dass ich so nicht weitermachen konnte und dass das, was ich tat, für mich keinen Sinn mehr machte.“

DIE SUMME VERSCHIEDENER TEILE
Dabei hatte sie ihren Beruf viele Jahre lang mit Begeisterung ausgeübt: Nach dem Abschluss der Lehre zur Bürokauffrau im Jahr 2000 stieg sie allmählich die Karriereleiter hoch. „Mit der Übernahme verschiedener Projekte wurden es immer mehr Stunden. Ich habe samstags Telefonkonferenzen abgehalten, in der Nacht noch E-Mails beantwortet und war auch im Urlaub erreichbar“, erinnert sich Bernhardt. Hohe Arbeitsbelastung, permanente Erreichbarkeit und wenig Schlaf zählen auch zu den Risikofaktoren für ein Burn-out, das sich oft durch körperliche und geistig-emotionale Erschöpfung äußert und nicht nur berufsbedingt auftritt. „Oft ist ein Burn-out die Summe verschiedener Teile und lässt sich nicht auf einen konkreten Auslöser zurückführen“, erklärt Dagmar Baschinger, Psychotherapeutin, Coachin und Supervisorin in Linz. Ein Burn-out ist auch keine Krankheit, sondern eine Kombination verschiedener Symptome. „Gemäß dem internationalen Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, dem ICD-10, gibt es keine solche Diagnose. Burn-out wird diagnostiziert nach den vorherrschenden Beschwerden“, informiert Baschinger.

MAMA, STREITEN WIR NICHT MEHR!
Erste Warnzeichen traten bei Silke Bernhardt schon Jahre früher in Form von Bandscheibenproblemen und chronischen Magenschmerzen auf. „Hinzu kamen Schwächemomente im Job. Ich hatte das Gefühl, mir zieht es den Boden unter den Füßen weg“, erzählt sie.

Die Überforderung bekam auch ihre Tochter zu spüren: Bernhardt war zu Hause angespannt, Konflikte und Streitereien häuften sich. „Ich habe in meiner Geldbörse noch ein Zetterl von ihr, auf dem steht: ‚Mama, streiten wir nicht mehr‘.“ Zum Stress kam das schlechte Gewissen. Warum sie trotzdem immer weitermachte? „Wenn ich mich für etwas entscheide, dann ziehe ich das durch“, erklärt Bernhardt. Hohe Ansprüche an sich selbst und ­bestimmte Glaubenssätze könnten dazu führen, dass die eigenen Grenzen missachtet würden und man irgendwann ausbrenne, warnt Psychotherapeutin Baschinger.

WAS LÄSST MICH SO ERSCHÖPFT SEIN?
„Manchmal ist uns gar nicht bewusst, welche Glaubenssätze wir übernommen haben. Zum Beispiel: ‚Ich darf keinen Fehler machen. Ich muss für alle da sein. Ich muss alles alleine schaffen.‘“ Der Anspruch, den Anforderungen in allen Lebensbereichen zu 100 Prozent gerecht zu werden, dürfte für viele Frauen eine Falle sein.

In Zeiten großer Belastung sollte man sich fragen: „Was genau stresst mich? Warum fühle ich mich so erschöpft? Womit bin ich unzufrieden? Was möchte ich ändern?“ – „In psychischen Belastungssituationen ist der Blick für andere Handlungsmöglichkeiten oft eingeschränkt“, weiß Baschinger.

Um gar nicht erst in die Überforderung zu geraten, sollte der Fokus weniger auf den (hohen) Ansprüchen und vielen To-dos liegen, sondern viel mehr auf dem, was guttut, Kraft gibt und Spaß macht. „Vor allem geht es um die Balance zwischen Arbeit, Freizeit, Familie, Hobbys und Spiritualität“, betont die Expertin. Silke Bernhardt suchte Hilfe in Selbstfindungsseminaren und Büchern. Doch erst seitdem sie gekündigt und sich als Fotografin selbstständig gemacht hat, hat sie wieder Freude an der Arbeit.

70 STUNDEN IM DAUEREINSATZ
Die 28-jährige Anna Krupitza erreichte ihren Tiefpunkt vor rund einem Jahr. Zu dem Zeitpunkt führte die Buchhändlerin ihre eigene Comicbuchhandlung in Wien und hatte seit mehr als zwei Jahren 60 bis 70 Stunden pro Wochen durchgearbeitet. „Ich war in der Zeit kein einziges Mal krank und nur einmal für zwei, drei Tage auf Urlaub“, erzählt sie. „Ich bin nicht mehr zur Ruhe gekommen.“ Oft wachte sie nachts um 3.00 oder 4.00 Uhr auf, ständig überfielen sie Gedanken: „Was kann ich für den Laden noch machen? Was hab ich vergessen?“

„Gestörter Schlaf ist oft das erste Alarmzeichen für ein Burn-out“, betont Baschinger. Weitere mögliche Signale sind Unruhe, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit und Erschöpfung. „Frauen bemerken, dass sie kaum mehr bewältigen, was sie früher vielleicht problemlos geschafft haben“, ergänzt die Expertin. Auf Beziehungen nimmt der Erschöpfungszustand ebenfalls Einfluss: „Manche ziehen sich sozial zurück, während andere extrem viel unternehmen, um eine Balance zur Überforderung herzustellen.“ Außerdem kann es zu psychosomatischen Beschwerden – von Schmerzen bis zu Problemen mit der Verdauung – kommen.

Lesen Sie weiter in der Printausgabe.

Silke Bernhardt (42)

„Ich muss nicht auf alles sofort reagieren.“

Wenn Silke Bernhardt sich für etwas entschieden hatte, zog sie es durch – bis zur völligen Erschöpfung. Heute ist die Härte sich selbst gegenüber aufgeweicht, Entspannungsmethoden wie Yoga dienen ihr als Ausgleich. Verpflichtungen sieht sie entspannter. „Ich habe gelernt, auf Anrufe oder Mails nicht gleich reagieren zu müssen“, erzählt die „Menschenfotografin“, die ihr Sinngefühl wiedergefunden hat: „Ich habe jeden Tag Freude an meinem Tun.“

Béatrice Drach (48)

„Ich habe jetzt fixe Termine mit mir selbst.“

„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich alles sofort erledigen muss, damit mich alle Leute mögen und toll finden“, nennt Béatrice Drach ihren wichtigsten Trigger. Die quirlige Frau hat sich als sportwissenschaftliche Beraterin „neu erfunden“. Wie sie sich vor Überlastung schützt? „Ich trage Termine mit mir selbst fix in den Kalender ein und fixiere viele Kurzurlaube während des Jahres.“ Die Bedeutung dieser „Me-Time“ vermittelt sie auch ihren KundInnen.

Anna Krupitza (28)

„Ich bin mir meiner Grenzen deutlicher bewusst.“

Für Anna Krupitza ist ihr Perfektionismus das größte Problem. „Ich war für die Kundinnen und Kunden immer erreichbar und habe mir sogar ihre privaten Probleme angehört.“ Heute ist sie sich dank Psychotherapie ihrer Grenzen deutlicher bewusst. Sie schreibt für eine Zeitung Comic­rezensionen, das Arbeitspensum hat sie von 70 auf 24 Wochenstunden reduziert.

Fotos: Fotos: Alexandra Grill, Tanja Hofer, Miriam Mehlman

Erschienen in „Welt der Frauen“ 05/19

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  • Veröffentlicht: 01.05.2019
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