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Lizzie Doron: „Ich bin keine Verräterin“

Lizzie Doron: „Ich bin keine Verräterin“

Die israelische Schriftstellerin Lizzie Doron hat sich in ihrer Heimat zwischen die Stühle gesetzt, weil sie Bücher schreibt, die nicht nur die jüdische, sondern auch die palästinensische Tragödie verstehen wollen. Ein Porträt als Lehrstück über die Aussichtslosigkeit des Nahostkonflikts.

Die Natur, die Stille und das Leben in kleinen Dörfern lobt man Lizzie Doron gegenüber vergebens. Denn wenn es still wird, denkt sie sofort an Friedhöfe. Und wenn von der Natur die Rede ist, stellt sie sich vor, wie schnell man während des Zweiten Weltkriegs in Polen aus einem Waldversteck gezerrt und erschossen werden konnte. „Nein“, sagt Lizzie Doron, „ich brauche große Städte und Lärm, will im Kaffeehaus sitzen, Stimmen und Geräusche hören und von möglichst vielen Leuten umgeben sein.“ Dann lacht sie auf und sagt fast entschuldigend, so sei es oft, wenn man mit Menschen aus dem Nahen Osten bei einem guten Essen sitze: „Es dauert keine fünf Minuten, da hörst du das Echo der Worte ,Schoah‘, ,Krieg‘, ,Besatzung‘, ,Intifada‘.“
Es ist ein Freitag, früher Abend. Schabbat-Essen mit der israelischen Schriftstellerin Lizzie Doron (65) und ihrer Familie in deren weitläufiger, heller Wohnung im zehnten Stock eines modernen Apartmenthauses im wohlhabenden Norden von Tel Aviv. Es wird geplaudert, gelacht und mit Tellern geklappert. Dorons Mann Dani, ein bekannter Steuer- und Finanzberater, ist da. Auch ihre Tochter Dana, eine Ärztin und Filmemacherin, ist mit ihrer Lebensgefährtin und den zwei gemeinsamen Söhnen im Kleinkindalter auf Besuch. Seit 25 Jahren wohnen die Dorons hier. Heller Sandstein. Viel Glas. Moderne Kunst. Ein Bücherregal mit Übersetzungen von Lizzies Büchern in einem halben Dutzend Sprachen. Regelmäßig organisiert die Familie in diesen Räumen auch gesellschaftspolitische Diskussionen, Treffen und Vorträge. Der Blick aus den Panoramafenstern geht über weitere Apartmenthäuser auf das vom Sturm gepeitschte Meer bis zum Horizont, wo Himmel und Wasser verschmelzen.

SCHUTZBUNKER SIND PFLICHT
Ein Stück weiter nördlich erkennt man die Landebahn eines Militärflughafens. Während des Gazakonflikts 2009 ist eine Hamas-Rakete aus dem Gazastreifen direkt neben dem Haus eingeschlagen. Den Trichter, den sie hinterlassen hat, erkennt man noch, wenn man von Lizzies Arbeitszimmer hinunterschaut. Gleich neben diesem Zimmer liegt ein Schutzbunkerraum. Solche Räume sind für jede Wohnung gesetzlich vorgeschrieben. Lizzie Doron erzählt, wie sie 1993 während des Golfkriegs mit Gasmasken in diesem Schutzraum saßen, „unsere Tochter auf meinem Schoß, unser Sohn auf dem Schoß meines Mannes“.
Wie Perlen an einer Schnur reihen sich die Kriegshandlungen des Nahostkonflikts entlang der Zeitleiste der letzten 50 Jahre: Sechstagekrieg, Jom-Kippur-Krieg, die Golfkriege, Erste Intifada, Zweite Intifada, die Gazakonflikte. Es sind alles andere als abstrakte Daten. „Ich habe am ersten Tag des Jom-Kippur-Kriegs 1973 sieben Freunde verloren. Da habe ich mir das erste Mal gedacht, dass mit dem israelischen Traum etwas falsch sein könnte“, erzählt Lizzie Doron. Seit 30 Jahren geht sie zu Friedensdemonstrationen. „Der Staat Israel ist im Grunde eine psychiatrische Anstalt für posttraumatisierte Juden“, sagt sie und fügt hinzu: „Und unsere palästinensischen Nachbarn sind ebenfalls ein traumatisiertes Volk.“

QUALVOLLES SCHWEIGEN
Kampf, Gewalt und Tod – ihre Möglichkeit und Nähe spürt man in Israel allenthalben. Lizzie Doron zieht beunruhigt die Augenbrauen hoch, als ich ihr auf Nachfrage erzähle, mit dem Bus gekommen zu sein. Sie findet es gefährlich, auch wenn es schon länger kein Bombenattentat auf einen Bus gegeben hat. „Ich habe zwei verschiedene Leben – in Berlin nehme ich nur Bus und U-Bahn. In Tel Aviv nie. Ich habe zu viel Angst“, erklärt sie.
Seit ein paar Jahren schon teilen Lizzie Doron und ihr Mann ihr Leben zwischen Berlin und ihrer israelischen Heimatstadt Tel Aviv auf. Sie fühlt sich in Berlin freier, vor allem beim Schreiben. Ausgerechnet dort! Dass es so gekommen ist, mag mit Lizzies Herkunftsgeschichte zu tun haben. In dieser spielte der unerfüllte Traum ihrer nahe Krakau aufgewachsenen Mutter, in Berlin studieren zu können, eine große Rolle. Die alles bestimmende Rolle aber spielte etwas anderes, was dazu führt, dass Lizzie Doron im Gespräch Dinge sagt wie: „Ich bin immer noch überrascht, wenn ich freitags mehr als zwei Leute um den Tisch sitzen sehe.“
Denn Lizzie Doron ist die einzige Tochter jüdischer Holocaust-Überlebender, die ihrerseits als Einzige ihrer großen polnischen Familien nach dem Zweiten Weltkrieg nach Israel kamen. Ihren Vater, der tuberkulosekrank war und starb, als Lizzie ein Kind war, hat sie nie kennengelernt. Und sie wusste auch bis weit ins Erwachsenenalter nichts über ihn. Alle Fragen nach ihm beantwortete ihre Mutter mit Schweigen. Überhaupt wurde qualvoll viel geschwiegen in dem kleinen, dunklen Haus, in dem Lizzie allein mit ihrer Mutter aufwuchs, in einem Viertel, dessen BewohnerInnen alle osteuropäische Überlebende des Holocausts waren.

Lizzie Doron

wurde 1953 als Tochter polnischer Holocaust-Überlebender in Tel Aviv geboren, leistete ihren Militärdienst ab und lebte drei Jahre im Kibbuz, bevor sie heiratete und als Linguistin an der Universität arbeitete. Aufgrund eines Schulprojekts ihrer Tochter fing sie mit über 40 an, sich mit ihrer von der Schoah geprägten Familiengeschichte auseinanderzusetzen und darüber zu schreiben. Mit den autobiografischen Romanen „Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?“, „Das Schweigen meiner Mutter“ und „Ruhige Zeiten“ wurde sie zur preisgekrönten Repräsentantin der jüdisch-israelischen Second-Generation-Literatur. Ihre letzten beiden Bücher allerdings, in denen die engagierte Friedensaktivistin nicht nur die jüdische, sondern auch die palästinensische Tragödie beleuchtet, haben in Israel keinen Verlag gefunden. Sie selbst gilt seither vielen in Israel als Verräterin. Lizzie Doron lebt in Tel Aviv und seit einigen Jahren auch in Berlin.

Lizzie Doron: Warum bist du nicht vor dem Krieg gekommen?
dtv TB, 10,20 Euro

Lizzie Doron: Who the Fuck 
Is Kafka?
dtv TB, 10,20 Euro

Lizzie Doron: Sweet Occupation.
dtv premium, 17,40 Euro

Foto: Julia Kospach

Mehr dazu finden Sie in der Printausgabe.

Erschienen in „Welt der Frauen“ 06/18

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  • Veröffentlicht: 24.06.2018
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