Kindern ins Dasein zu helfen – kann es einen schöneren Beruf geben? Wie anspruchsvoll er sich für Hebammen tatsächlich gestaltet, wissen nur wenige. Von Wunschgeburten, Kreißsälen und handfesten Frauen.
Wenn sie mit dem Auto in die Arbeit fährt, schickt Martha Holzmannhofer-Asamer öfter ein Stoßgebet in den Himmel, „dass ich meine Arbeit gut mache“. Denn nicht nur in Zeiten von Corona gilt: Was in ihrem Zwölfstundendienst auf sie zukommen wird, das weiß die Hebamme vorher nie. Manchmal kommen sechs Kinder während eines Dienstes zur Welt, manchmal muss ein Notkaiserschnitt gemacht werden oder es entbindet eine schwer traumatisierte Frau mit Missbrauchserfahrungen. Zudem haben heutige Eltern hohe Erwartungen an die Geburt und an das Kind.
„Frauen und Männer kommen heute mit sehr klaren Vorstellungen zur Geburt“, bestätigt Nicole Humer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Oberösterreich des österreichischen Hebammengremiums (ÖHG). „Es braucht aber auch die Fähigkeit, Dinge geschehen zu lassen.“ Manche Maßnahmen seien einfach notwendig, wie eine Untersuchung in Rückenlage, um zu sehen wie die Position des Kindes ist. Auch die häufig gewünschte Wassergeburt ist nicht immer möglich, etwa wenn sie vom Baby nicht toleriert wird. Geburt und Schwangerschaft seien Vorgänge, die sich nicht zur Gänze planen lassen.
Wenn Frauen früher schwanger wurden, war es selbstverständlich, eine Hebamme zu konsultieren. Heute gehe man zu Shiatsu, zur psychologischen Geburtsvorbereitung, zu Doulas. „Dahinter steckt oft echtes Engagement der Anbieter, manchmal wirtschaftliche Interessen, aber meist wenig Fachwissen. Hebamme hingegen ist ein medizinischer Beruf mit entsprechender Ethik und einem Studium an der Fachhochschule“, sagt Humer. Sie wünscht sich wieder eine stärkere Verankerung des Berufsbildes „Hebamme“ im Bewusstsein der Bevölkerung. Sie empfiehlt werdenden Eltern, das Hebammengespräch im Rahmen des Mutter-Kind-Passes zwischen der 18. und 22. Schwangerschaftswoche in Anspruch zu nehmen. Dann gebe es auch eine Ansprechpartnerin, die man anrufen könne, wenn in der Schwangerschaft eine Frage auftaucht.
Hebammen geben Frauen schon in der Schwangerschaft Sicherheit und betreuen sie und ihr Baby auch nach der Geburt. Solange es keine Komplikationen gibt, dürfen Hebammen die Entbindung in der freien Praxis und zum Teil auch im Krankenhaus völlig selbstständig ohne Arzt leiten, während der Arzt eine Geburt nur im Notfall ohne Hebamme durchführen darf. Die Hebamme, die die Gebärende bei der Verarbeitung der Wehen unterstützt, muss jedoch erkennen, ob ein medizinisches Eingreifen nötig ist.
So natürlich wie möglich
Martha Holzmannhofer-Asamer ist seit 30 Jahren Hebamme. In der Geburtshilfe hat sich in dieser Zeit vieles verändert. Während im Kreißsaal früher routinemäßig die Fruchtblase geöffnet wurde und die Frauen in Rückenlage ihr Kind bekamen, dürfen sich Frauen heute frei bewegen, und medizinische Interventionen sind, zugunsten der sanften Medizin, nicht mehr Routine. „Unsere Philosophie ist: Solange es geht so natürlich wie möglich, und wenn etwas aus der Norm ist, greifen wir auf die Schulmedizin zurück.“
Nicht nur im Kreißsaal hat sich vieles gewandelt. Hebammen sind heutzutage auch zunehmend in der Vor- und Nachsorge der Schwangerschaft tätig.
Das Problem ist jedoch: Es gibt bei Weitem nicht genug Hebammen. „In fast allen Spitälern in Österreich gibt es vakante Stellen, die nicht besetzt werden können“, sagt Marianne Mayer, Leiterin des Wiener Hebammengremiums. Für die praktizierenden Hebammen führe das zu einem hohen Arbeitsdruck, der ungesunde Ausmaße annehmen könne.
In Österreich arbeiten insgesamt 2.400 Geburtshelferinnen. Zwei Drittel von ihnen verbinden Teilzeitanstellung im Krankenhaus und Arbeit in freier Praxis, ein Drittel ist entweder nur angestellt oder in freier Praxis tätig. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung in den Spitälern ist jedoch der Trend zu beobachten, dass viele in die Freiberuflichkeit wechseln oder vermehrt Teilzeit arbeiten. Ein Drittel der Geburtshelferinnen ist über 50 Jahre alt, der Personalmangel droht sich in Zukunft also weiter zu verschärfen.
In Wien kommen 26 Kassenhebammen auf 20.000 Geburten. „Um hier die Chance auf eine Nachbetreuung als Kassenleistung zu haben, muss man bis zur zehnten Schwangerschaftswoche eine Hebamme kontaktiert haben“, sagt Marianne Mayer. Auch in den Bundesländern kann es in der 20. Schwangerschaftswoche schon zu spät sein. Alternativ gibt es die Möglichkeit, auf eine Wahlhebamme auszuweichen, die jedoch zunächst selbst zu bezahlen ist. Die Rechnung kann bei der jeweiligen Krankenkasse eingereicht werden, die dann einen Teil der Kosten ersetzt.
Eltern sollen Druck machen
Im Vergleich zu früher verlassen Frauen heute nach einer Entbindung schneller das Spital und stehen dann oft ohne Hebamme für die Nachsorge da. Beate Kayer, Leiterin der Landesgeschäftsstelle Burgenland des ÖHG, fordert Mütter und Väter auf, Druck auf die Gesundheitspolitik zu machen, damit sich endlich etwas ändert: „Die Nachbetreuung durch eine Hebamme ist eine Leistung, die jeder Frau zusteht.“
Als Sofortmaßnahme fordert Marianne Mayer eine Aufstockung der Ausbildungsplätze. Beim Bachelorstudium „Hebammen“ an der FH Campus Wien etwa kommen auf 30 Studienplätze 600 Bewerbungen. Die Anzahl und Finanzierung der Studienplätze ist Ländersache. „In der Gesellschaft werden Hebammen oft nicht so wahrgenommen, wie wir uns das wünschen würden“, kritisiert Studiengangsleiterin Brigitte Kutalek-Mitschitczek. „Möglicherweise liegt es daran, dass der Hebammenberuf fast zu 100 Prozent weiblich ist.“
Die Hausgeburts-Hebamme: „Mit dem Lebensfluss sein“
Sarah Bestle arbeitet seit 2014 als freie Hebamme in Innsbruck und ist spezialisiert auf Hausgeburten. „Ich habe den Vorteil, dass während des Geburtsvorgangs eine starke Beziehung zu den Frauen da ist“, sagt die 33-Jährige. Als Kind lebte sie drei Jahre in Nicaragua, wo ihre Eltern Entwicklungsarbeit leisteten. Dort erfasste Bestle das erste Mal der Wunsch, Hebamme zu werden. „Als Hebamme lernt man, mit dem Lebensfluss zu sein. Schwangerschaft wird in unserer Gesellschaft oft als etwas Bedrohliches betrachtet, das möchte ich ändern.“ In ihrer Arbeit setzt die Mutter eines Sohnes auf Empowerment und ermutigt Frauen zu mehr Selbstbestimmtheit. 2016 gründete sie den Verein „Refugee Midwifery Service Austria“, kurz RMSA, wo sie geflüchtete Frauen über die Schwangerenvorsorge in Österreich informiert und Frauentreffs organisiert (www.rmsa.help).
Lesen Sie mehr zum Thema und von der Geburtshaus-Hebamme Andrea Schlair und der Krankenhaus-Hebamme Martha Holzmannhofer-Asamer in unserer Printausgabe.
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