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03/24

Freundschaft mit dem Körper schließen

Freundschaft mit dem Körper schließen

Den kritischen Blick auf ihr Äußeres haben viele Frauen verinnerlicht. Für ein gutes Körpergefühl ist eine wohlwollende Haltung jedoch weitaus förderlicher als eine wertende. Wie Frauen (wieder) Freundschaft mit ihrem Körper schließen.

Fühl dich gut, Körper!

Wäre mein Bauch nur flacher! Hätte ich doch straffere Arme! Eine Kleidergröße kleiner, und mein Leben wäre perfekt! „Es scheint fast die Norm zu sein, dass Frauen nicht unbedingt zufrieden mit ihrem Körper sind“, erklärt Barbara­ Nacke. Die Diplompsychologin von der TU Dresden betreut seit zwei Jahren das kostenlose Onlineprogramm ­„everyBody“, das Frauen dabei unterstützt, ihr Körpergefühl zu verbessern. „Viele haben den Eindruck, mit ihnen stimme etwas nicht, weil ihr Körper nicht den Bildern in den Medien entspricht.“

Verzerrte Sicht

Gerade in der Werbung liegt der Fokus auf Problemstellen: „Erst wenn du perfekt bist, kannst du glücklich und erfolgreich sein“, lautet die Botschaft. „Selten wird das realistischere Bild transportiert, dass es eine große Bandbreite von verschiedenen Körperformen gibt“, bedauert Nacke. Tatsächlich hätten nur rund vier Prozent aller Frauen Körperformen, die den in den Medien dargestellten ähnelten. Das bedeutet: Die Selbstkritik orientiert sich häufig an unrealistischen Vorgaben; an retuschierten Fotos, die Menschen zeigen, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Durch die neuen Medien – auch Plattformen der Selbstdarstellung – würden Kritik und Selbstkritik forciert und gipfelten im „­Bodyshaming“: Menschen werden aufgrund ihres Aussehens beschämt – egal, ob sie über- oder untergewichtig, muskulös oder untrainiert sind. Dass die Kritik zuweilen unter dem Deckmantel der Sorge geäußert wird, macht sie nicht weniger verletzend. „Es hat sich in Studien gezeigt, dass solche Kommentare nie dazu beitragen, dass sich eine Person anders verhält, sich gesünder ernährt oder das Sportverhalten ändert“, erklärt die Psychologin. Diese verschlechterten vielmehr nur das Körpergefühl.

Bejahendes Selbstbild

Was Frauen ebenfalls nicht außer Acht lassen sollten: Das Wunschgewicht entspricht nicht immer dem persönlichen Wohlfühlgewicht. Dieses realistische Gewicht hängt von der Veranlagung, vom Bewegungs- und Essverhalten ab. Ein Gewicht anzustreben, das deutlich unter dem liegt, das der eigenen Veranlagung entspricht, könne die körperliche und psychische Gesundheit gefährden, warnt Nacke. „Symptome wie Mangelernäh­rung, Essanfälle, Konzentrationsschwierigkeiten, Stimmungsschwankungen können auch dann auftreten, wenn das Gewicht im oder über dem ‚offiziellen‘ Normalbereich liegt.“ Initiativen wie die Körper-Positivitäts-Bewegung – sie steht für die Wertschätzung aller menschlichen Körpertypen – wollen das bejahende Selbstbild fördern. Sie bleiben aber oberflächlich, solange Frauen sich weiterhin vor allem über ihr Äußeres definieren.

Als körperliche Wesen wollen wir unseren Körper von innen heraus erleben. Jeder Lebensbereich – von Bewegung über Ernährung bis hin zur Spiritualität – kann dazu beitragen.

Fühl dich gut, Körper!

Wieder richtig gut essen

Dass sich mit Lebensqualität auch Einfluss auf das Körpergefühl und Körpergewicht nehmen lässt, davon ist die Ernährungswissenschaftlerin und Psychotherapeutin Karin Lobner überzeugt. „In Sachen Ernährung tut uns vor allem eine ausgewogene Mischkost gut“, betont sie und warnt gleichzeitig vor allzu strengen Regeln und Vorgaben. „Immer wenn es zu kopfbetont wird, kommt das gute Körpergefühl abhanden.“ Die Ernährung sollte im Einklang mit den persönlichen Vorlieben stehen, die auch von der momentanen Verfassung beeinflusst werden: Manchmal ist ein knackig frischer Salat genau das Richtige, manchmal muss es etwas Warmes, Breiiges – Grießbrei mit Zimt etwa – sein. „Wenn man in sich hineinhört, sagt einem der Körper ganz deutlich, was er braucht“, ist Lobner überzeugt.

Die Einfachheit des Geschmacks fördert das gesunde Körpergefühl viel eher als großartige Geschmacksexplosionen: Industriell erzeugten Produkten sind oft Begleitstoffe, zum Beispiel Aromen, zugesetzt, die es irritieren.

Genießen ist gesund

Was dem Körper ebenfalls nicht schmeckt, ist eine Diät oder Hungerkur. In der Annahme, eine Hungersnot sei ausgebrochen, senkt er den Kalorienbedarf und baut Muskelmasse ab. Wird danach wieder normal gegessen, lagert er die Nahrung besonders gut ein, um die vermeintliche Hungersnot auszugleichen. Die Gewichtszunahme schmälert oftmals auch das Selbstwertgefühl. Was die Ernährungsexpertin allen ans Herz legt, ist, selber zu kochen. Beim die Sinne anregenden Zubereiten der Speisen werde der Organismus optimal auf die kulinarischen Genüsse vorbereitet. Ist die Aufmerksamkeit ganz bei der Mahlzeit, lassen sich die Körpersignale gut wahrnehmen: Welche Speisen fühlen sich gut an? Nach welchen bin ich schnell „pappsatt“? Schmecken speckige Erdäpfel anders als mehlige? Nach und nach passt der Geschmack sich den neuen Essgewohnheiten und dem bewussten Genuss an.

Letzterer sei eine Voraussetzung dafür, dass die Ernährungsweise beibehalten werde, ergänzt die Neurochirurgin und Psychiaterin Iris Zachenhofer: „Der Mensch hat von allen Säugetieren das größte Belohnungssystem im Gehirn – das ist jener Anteil, der auf Genuss, Freude und Vergnügen ausgerichtet ist.“ Das Belohnungssystem lässt nicht zu, dass wir uns, etwa um abzunehmen, längerfristig kasteien. „Wir können aber lernen, uns mit guten Lebensmitteln zu belohnen: mit frischem Holzofenbrot, einem Biosteak, Obst vom Bauern oder handgemachten Pralinen“, betont die Medizinerin. Abgesehen davon wird das Belohnungssystem durch viele andere Genüsse aktiviert: durch Musik, Kunst- und Naturerlebnisse, Reisen, Bewegung und Sport.

Turnen, Klettern, Tanzen

Als körperliche Wesen wollen wir aktiv sein. Nicht umsonst haben wir einen Bewegungsapparat, keinen Sitz- oder Liegeapparat. Wer einmal am eigenen Körper erfahren hat, wie gut Bewegung tut, mache es immer wieder, ist die Grazer Sportwissenschaftlerin und Sportpsychologin Petra Jopp überzeugt. „Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Training als wiederkehrender, strukturierter Prozess ist für uns eine der natürlichsten Tätigkeiten überhaupt.“ Um die passende Sportart zu finden, könnte folgende Überlegung helfen: Welche Aktivitäten haben mir als Kind Spaß gemacht? Auf-Bäume-Klettern, Radfahren, Tischtennis? Wer beim Sporteln den eigenen Vorlieben nachkommt, bleibt eher am Ball. „Mit meinen Kindern bin ich viel in der Natur unterwegs, und wir probieren gemeinsam verschiedene Sportarten aus“, erzählt Jopp, Mutter dreier Mädchen. Zu den vielseitigen Sportarten, die eine Grundlage für ein gesundes Körpergefühl schaffen, zählt sie Turnen, Leichtathletik, Schwimmen, Klettern und Tanzen.

Ein Schlüssel zur Heilung

Ein gutes Körpergefühl beinhaltet sogar noch mehr, als sich im Körper wohlzufühlen. „Es bedeutet, dass alle Gefühle, alle Empfindungen, die ich gerade habe, da sein dürfen“, verdeutlicht die Psychotherapeutin Hannah Folberth-Reinprecht. „Ich spüre den Boden unter den Füßen, merke, dass ich atme, höre meine Stimme. Ich bin mit meinen Körperfunktionen in Kontakt und erlebe die Palette an Sinneseindrücken – ich erlebe mich.“

Sehr heftige oder traumatische Erlebnisse können dazu führen, dass diese Verbundenheit abhandenkommt – eine Überlebensstrategie, wie die Psychotherapeutin betont. „Dann erleben wir nicht, wir denken unser Leben. Der Körper ist entweder Feind oder nicht zugänglich.“

Tatsächlich ist er „Speicherort“ all unserer Erfahrungen und Erlebnisse – und damit eine Ressource. Dies macht man sich in der Körperpsychotherapie zunutze, indem mithilfe von Körpererfahrungen unbewusste psychische Prozesse ins Bewusstsein gebracht und Empfindungen langsam zugänglich gemacht werden. Besonders gute Erfahrungen macht Folberth-Reinprecht außerdem mit der Bewegungspraxis der „Discipline of Authentic Movement“: „Dabei schulen wir uns darin, unseren Körper als fein und hochsensibel gestimmtes Instrument zu nutzen.“

Im Einklang mit den Sinnen

Dass sich das Körpergefühl ihrer KlientInnen verbessert, zeige sich daran, dass diese sensibel werden für das, was guttut oder stresst. „Sie sind präsent, achtsam mit sich und in Verbindung mit dem, was sie ausmacht.“ In einer lärmenden Welt, in der wir ständig mit unzähligen Eindrücken und Anforderungen konfrontiert sind, sei dies wichtiger denn je, betont die Psychotherapeutin. „Ich erachte es als wesentlich, dass wir uns an den Sinnesorganen, die in unserem Körper verankert sind, orientieren.“ Dann wird er zu dem, was er eigentlich ist: der ureigene Maßstab für unser Wohlbefinden.

„Das Ziel sollte sein, sich selbst Gutes zu tun“

Diplompsychologin Barbara Nacke von der TU Dresden erklärt, warum die richtige Motivation entscheidend dafür ist, das Körpergefühl zu verbessern.

Viele Frauen haben die Erfahrung gemacht, dass sich das Körpergefühl nach Diäten und dem Gewichtsverlust nicht verbessert. Woran könnte das liegen?
Barbara Nacke:
Das Ziel, abzunehmen oder eine bestimmte Kleidergröße zu erreichen, ist ein relativ schlechter Motivationsfaktor, um sich wohler im Körper zu fühlen. Nicht um ein Gewichtsziel sollte es gehen, sondern darum, sich selbst Gutes zu tun.

Sie betonen, dass Kritik und ­Kommentare unserem Körper­gefühl schaden.
Genau. Darum empfehlen wir, auf sämtliche Bemerkungen, die Figur, das Gewicht oder das Essverhalten betreffend, zu verzichten. Das schließt unbedachte Äußerungen mit ein wie etwa: „Oje, jetzt hab ich wieder zu viel gegessen. Das wird sich später auf der Waage zeigen.“ Solche Kommentare rücken unser Erscheinungsbild in den Vordergrund. Wir fokussieren lieber andere Eigenschaften, die uns als Menschen wertvoll machen.

Selbstkritik wird durch Selbst­annahme ersetzt.
Ja. Für viele ist es eine ganz neue Perspektive, nicht von vornherein am Körper herumzukritisieren und neue Stellen finden zu müssen, die es zu optimieren gilt. Die Frauen lernen, sich mit ihrem Körper, wie er gerade ist, anzufreunden. Dies bedeutet zuerst, seine physischen Grundbedürfnisse nach Nahrungsaufnahme und Bewegung abzudecken.

Wie lässt sich die Freundschaft ­weiter vertiefen?
Wir empfehlen den Frauen etwa, einen Brief an einen wenig geliebten Körperteil zu schreiben, zum Beispiel an den Bauch. Im nächsten Schritt überlegen sie sich, was ihnen der Bauch antworten könnte. Dabei entwickeln viele eine ganz andere Perspektive: Sie sehen nicht nur, wie der Bauch aussieht, sondern erkennen, was er alles für sie leistet.

> Informationen und Anmeldung zum kostenlosen Onlineprogramm „everyBody“

Wege zum Wohlgefühl

Um sich in der Haut wohlzufühlen, sollten physische und mentale Bedürfnisse abgedeckt sein.

Illustration Fühl dich gut, Körper1. Ausgewogen essen

Damit der Körper mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt wird, braucht es einen gesunden Mix mit ­Betonung auf pflanzlicher Kost. Je bunter die Auswahl an möglichst naturbelassenen Lebensmitteln, umso sicherer sind alle notwendigen ­Nährstoffe – Vitamine, Mineralstoffe, sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe – enthalten.

2. Regelmäßig sporteln

Vorab empfiehlt sich eine sport­medizinische Untersuchung, bei der etwa der richtige Trainingsumfang bestimmt wird. Das richtige Maß an Bewegung erkennt eine Frau auch daran, dass sie sich bei der Sportausübung wohlfühlt und selbst nach einer anstrengenden Einheit Lust auf die nächste verspürt.

3. Positiv denken

Eine positive Lebenshaltung tut dem ganzen Organismus erwiesenermaßen gut. Sie beinhaltet eine annehmende, wohlwollende Haltung sich selbst gegenüber. Kritisch hinterfragt werden sollten hingegen der gegen­wärtige Körperkult sowie rigide Schönheitsideale.

Hautnah
Hautnah
Hautnah

Illustrationen: Thinkstock / Foto: Arne Sonnenburg

Erschienen in „Welt der Frauen“ Jänner/Februar 2019

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  • Veröffentlicht: 07.01.2022
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