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04-05/24

Die andere Welt von Ziegental

Die andere Welt von Ziegental
Dörfer, in denen Pferde­fuhrwerke das höchste Gut sind. Kinder, die langsam an Bildung und Regelmäßigkeit herangeführt werden. Frauen, die erstmals feste Arbeit haben. Ein Lokalaugenschein bei den Roma in Siebenbürgen.

Nebelschwaden ziehen über das kleine Dorf, vom Hügel aus zeigt sich in der beginnenden Dämmerung ein mystisch wirkendes Bild aus weiter Landschaft, wenigen Häusern, einem Kirchturm. Hügelabwärts führt eine unbefestigte Straße, links und rechts ärmliche Hütten aus Holz, Blech und Pappe. Müll liegt vor den Hütten, streunende Hunde kreuzen den Weg, Kinder bitten um Süßigkeiten. Es ist schmutzig, matschig, grau und kühl. Nur eine Flugstunde von Wien entfernt tut sich nahe Hermannstadt im Dorf Ziegental (?ichindeal), in dem fast ausschließlich Roma-Familien leben, eine Welt auf, die völlig ungewohnt ist.

Arbeit schafft Perspektiven

Die Armut im Dorf ist offensichtlich, asphaltierte Straßen oder öffentliche Verkehrsmittel sucht man vergebens. Im kleinen Dorf gibt es eine Kirche, eine Schule, einen Kindergarten, zwei Geschäfte. In den gemauerten Häusern rund um das Dorfzentrum leben nur mehr wenige RumänInnen, nur die Alten sind hiergeblieben. Unweit der Kirche ist das Projekt „Elijah“ beheimatet – ein Sozialprojekt, gegründet von Ruth Zenkert und Pater Georg Sporschill. „200 Menschen leben in Ziegental, 150 sind Roma, davon sind 107 Kinder“, klärt Angela King auf. Die Vorarlbergerin lebt selbst seit drei Jahren in Ziegental, betreut „Elijah“ und ist für viele im Dorf zur Vertrauten geworden.

59_walter aigner 1_w__5027 KLEINEin weiterer Vorarlberger, den man hier gut kennt, ist Walter Aigner, Geschäftsführer und Teileigentümer des Teppichherstellers „Tisca“ mit Stammsitz in Thüringen. Die Arbeit von „Elijah“ im eigenen Sozialzentrum, in der Kunstwerkstatt, der Gärtnerei und Bäckerei beeindruckte ihn, und auch er wollte etwas für die Entwicklung Ziegentals tun. 2014 baute „Elijah“ für Aigner eine Scheune im „Elijah“-Areal zu einer kleinen Weberei um und schuf damit Arbeitsplätze für Roma-Frauen. Hell und freundlich ist der Raum, die Frauen werken mit Bedacht an ihren großen Webstühlen, vertieft in ihre Arbeit werfen sie BesucherInnen nur kurze Blicke zu. „Mittlerweile arbeiten sieben Frauen aus der Roma-Siedlung hier. Sie stellen pro Jahr an die 2.500 m² Teppiche her“, sagt Aigner. Jede der Frauen ist sozialversichert und verdient im Schnitt 280,00 Euro monatlich, der Durchschnittsverdienst eines Roma liegt bei 125,00 Euro. Ein Lehrer in dieser Gegend Rumäniens verdient 350,00 Euro im Monat, eine Ärztin 700,00 Euro.

 

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Die kleine Weberei in Ziegental, in der Roma-Frauen feste Arbeit haben.

 

 

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Die Roma in Siebenbürgen

Die Roma sind mit höchster Arbeitslosigkeit, niedrigstem Bildungsniveau und schlechtester Grundversorgung die ärmste der 19 Bevölkerungsgruppen in Rumänien. Laut Volkszählung leben knapp 620.000 Roma im Land, Schätzungen zufolge sind es aber zwischen zwei und drei Millionen. Die Roma bleiben meist unter sich, am Rand von Städten und Gemeinden. Mit Rumänien verbindet sie seit dem Spätmittelalter eine lange Geschichte, als begehrte Arbeitskräfte hatten sie zu jener Zeit Sklavenstatus. In der jüngeren Geschichte kam es während der NS-Zeit zur Ermordung von geschätzten 500.000 Roma, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren sie wieder als Arbeitskräfte gefragt und großteils als ZwangsarbeiterInnen für den rumänischen Wiederaufbau von Industrie und Landwirtschaft im Einsatz. Mit dem Ende des Kommunismus in Rumänien hat sich ihre Lage keineswegs verbessert: 1990 gab es in Rumänien noch 8,4 Millionen Arbeitsplätze, heute sind es knapp die Hälfte. Galten vor 1990 das Recht und die Pflicht zu arbeiten auch für Roma, waren sie nach dem Umbruch wegen ihres schlechten Bildungsniveaus die Ersten, die entlassen wurden.

 

Gemauerte Häuser und ­Strommasten sind in Roma-­Dörfern immer noch selten. ­Beides weist auf BewohnerInnen mit regelmäßiger Arbeit hin.

Gemauerte Häuser und ­Strommasten sind in Roma-­Dörfern immer noch selten. ­Beides weist auf BewohnerInnen mit regelmäßiger Arbeit hin.

 

Burgberg mausert sich

Größere Städte wie Hermannstadt oder Heltau, die im Wachsen begriffen sind, kleine Dörfer, die fernab vom Schuss liegen – in Siebenbürgen erlebt man innerhalb weniger Kilometer verschiedenste Welten. Ein Dorf, das sich mit 2.800 EinwohnerInnen gut entwickelt, ist Burgberg, 30 Kilometer von Hermannstadt entfernt. Mit 60 Prozent gibt es hier einen hohen Anteil an ZigeunerInnen. „Sie wollen auf keinen Fall Roma genannt werden, sondern Tsiganes“, erklärt Bürgermeister Michael Lienerth. Viele von ihnen würden regelmäßig in Deutschland als SaisonarbeiterInnen in der Landwirtschaft arbeiten. Und ja, manche gingen auch als BettlerInnen in den Westen. „Jeder Wald hat sein trockenes Holz“, ist Lienerths knapper Kommentar dazu.

In Burgberg gehen alle Kinder zur Schule, viele der BewohnerInnen arbeiten in Hermannstadt, im Ort gibt es Vereine, ein Kulturhaus, einen Fußballklub, drei ÄrztInnen, eine Apotheke. „Ich bin zufrieden mit der Entwicklung. Früher gab es drei Autos im Ort, heute sind es 100“, sagt Lienerth stolz. Beim Thema „EU“ ist er ganz in seinem Element. „Wir haben in unserer Region Schafe, Obst und Gemüse. Daraus lässt sich etwas machen. Wir sind ein großer Markt für andere EU-Länder.“ Ungehalten wird er, wenn er von der komplizierten rumänischen Bürokratie spricht: „Wir blockieren uns selbst, können darum auch viele EU-Förderungen nicht abholen. Dabei brauchen wir dringend Geld für Infrastrukturprojekte.“ Für ihn habe es den Anschein, dass es dem Staat ganz gelegen komme, dass intelligente, kritische Leute mangels Perspektiven das Land verlassen und die Entwicklung gebremst wird. Denn die „arme Masse“ sei bekanntlich leichter lenkbar.

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Die Reise nach Siebenbürgen erfolgte auf Einladung des Unternehmens „Tisca“.

Fotos: Andrea Payer Moser, Tisca Teppiche

Erschienen in „Welt der Frau“ 04/17 

 

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  • Veröffentlicht: 02.05.2017
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