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03/24

„De Muatta“ war immer sehr ernst

„De Muatta“ war immer sehr ernst

Das Leben der Lungauer Bäuerin Maria Etzer wurde durch ein Unrechtsurteil des Nationalsozialistischen Regimes 1943 nachhaltig zerstört. Erst vor wenigen Monaten wurde sie endlich rehabilitiert.

Wer im Gefängnis war, hat wahrscheinlich etwas angestellt, bringt Schande über die Familie und ruft den Na­tio­nalsozialismus in Erinnerung.“ So fasst Maria Prieler-Woldan zusammen, was der Frau, deren Lebensgeschichte sie recherchiert hat, zugemutet worden ist. Maria Etzer, geboren 1890, war während des nationalsozialistischen Regimes als abgeurteilte Verbrecherin im Zuchthaus. Der tiefgläubigen Witwe war vorgeworfen worden, sich mit französischen Zwangsarbeitern „eingelassen“ zu haben.

ERPRESSTES GESTÄNDNIS
Der „Hinweis“, dass die Bäuerin mit den Franzosen am Hof viel zu freundlich umgehe, dürfte von einer ihrer Töchter gekommen sein. Ein Bauer aus der Nachbarschaft, der vermutlich bei Maria Etzer nicht „landen“ konnte, war der Anzeiger bei den Nazibehörden. In der Familie wird erzählt, er sei bei der sterbenden Maria Etzer eines Tages zur „Abbitte“ gewesen. Ein Sondergericht verurteilte Etzer 1943 zu drei Jahren Haft wegen „verbotenen Umgangs“ mit französischen Kriegsgefangenen. Kurz vor Kriegsende kam sie frei, konnte aber nicht auf ihren Hof nach Goldegg zurückkehren. Jahrelang musste sie sich als Dienstbotin verdingen. Ihre Anträge auf Opferfürsorge wurden abgelehnt, weil sie keinen nennenswerten Beitrag zu einer Wiedererrichtung eines freien Österreichs geleistet habe.
„Nach einem rechtsstaatlichen Verfahren hätte Maria Etzer nicht verurteilt werden dürfen“, sagt die Soziologin Maria Prieler-Woldan, die ein Buch über Maria Etzer geschrieben hat. Selbst wenn die damals 53-Jährige eine Liebschaft mit einem Franzosen unterhalten hätte, wäre das strafrechtlich irrelevant gewesen. Ihr Mann war da seit fast 20 Jahren tot. „Maria Etzer wurde Zersetzung der Wehrkraft vorgeworfen, und das stimmt auch“, so die Soziologin. Sie habe sich geweigert, im anderen bloß einen Feind oder ein Feindbild zu sehen: „Dieser Franzose war mir als Hilfskraft für meine Landwirtschaft zugeteilt, er war ein fleißiger und williger Arbeiter, und so habe ich ihn auch behandelt“, hatte Etzer zu Protokoll gegeben. Im Verfahren vor dem Sondergericht in Salzburg war die achtfache Mutter unter Gewalt gezwungen worden, ein intimes Verhältnis mit mehreren Franzosen zuzugeben. Maria Prieler-Woldan sieht hier die Logik der Hexenprozesse am Werk: Das Urteil sei schon vor dem Prozess festgestanden, aber die – erpressten – Details habe man zum voyeuristischen Vergnügen hören wollen.

DAS MENSCHLICHE VERLERNEN
Prieler-Woldan meint, die sogenannte Lebenssorge sei eine eher für Frauen typische Form des Widerstandes im Nationalsozialismus gewesen. Man habe den anderen als Mensch gesehen und entsprechend gehandelt. Das sei christlich, humanitär oder auch bloß menschlicher Anstand: „Die Leute hatten gelernt, ein jeder ist ein Mensch, hilf dem, der etwas braucht, verhalte dich anständig, so wie du willst, dass die anderen sich dir gegenüber verhalten. Und plötzlich sagt das System, jetzt musst du es anders machen. Der, den du vorher geachtet hast, auf den spuckst du jetzt, weil der jetzt ein Feind ist, ein Jude oder was auch immer“, resümiert Prieler-Woldan. Diese Geisteshaltung sei nach dem Krieg nicht einfach verschwunden. Man habe rasch alle Energie in den Wiederaufbau investiert und wollte nicht mehr an das Vergangene erinnert werden. Opfer des Nationalsozialismus wurden, sagt Prieler-Woldan, ein zweites Mal Opfer, weil man sie nicht rehabilitierte. „,Irgendetwas wird schon dran gewesen sein, wenn sie im Gefängnis war‘, hieß es. Das Bittere war, dass man nicht nur im Zuchthaus war, dort halb verhungert und unter Bomben nach Hause gekommen ist, sondern dass die ganze Existenz ruiniert war, weil man als Opfer auch später nicht ernst genommen wurde.“

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Das Schicksal der Bäuerin Maria Etzer

Mit Rechtsspruch vom 18. September 2018 wurde das Urteil des nationalsozialistischen Sondergerichtes gegen Maria Etzer wegen des „verbotenen Umgangs“ mit französischen Kriegsgefangenen vom 24. März 1943 aufgehoben. Die Buchberglechenbäuerin aus Goldegg wurde somit nach 75 Jahren rehabilitiert. Sie ist allerdings bereits 1960 gestorben. Wie viele Frauen Opfer dieser Unrechtsgesetzgebung wurden, ist ungeklärt. Man schätzt, dass es allein in Österreich rund 1.000 Frauen betrifft. Nachfahren in direkter Linie (Kinder, Enkel, Urenkel) können beim Innenministerium jederzeit einen formlosen Antrag auf Rehabilitierung ihrer Vorfahren, die aufgrund aufgehobener Nazi-Gesetze verurteilt wurden, stellen. Im Urteil zur Rehabilitation von Maria Etzer stellte das Landesgericht Wien 2018 fest: „Letztlich lag der primäre Grund für die Verfolgung und Verurteilung von Maria Etzer darin begründet, dass sie auch während der NS-Diktatur ihren christlichen Wertvorstellungen treu blieb und sich auch gegenüber den als Zwangsarbeitern eingesetzten Kriegsgefangenen menschlich verhielt. Ein solcher Dissens mit der NS-Ideologie war den Machthabern ein Dorn im Auge und wurde schon als Form des Widerstandes angesehen.“

Maria Prieler-Woldan: Das Selbst­verständliche tun.
Die Salzburger Bäuerin Maria Etzer und ihr verbotener Einsatz für Fremde im Nationalsozialismus.
StudienVerlag, 24,90 Euro

Foto: Privatarchiv

Erschienen in „Welt der Frauen“ 12/18

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  • Veröffentlicht: 03.12.2018
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