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03/24

Christine Nöstlinger: „Die einen mögen mich, die anderen nicht“

Christine Nöstlinger: „Die einen mögen mich, die anderen nicht“

Christine Nöstlinger ist Österreichs bekannteste Kinderbuchautorin. Aber sie ist auch eine große Kämpferin für Feminismus und den Sozialstaat. Als „in der Wolle rot gefärbt“ bezeichnete sie sich selbst einmal. Was davon mit 81 Jahren übrig geblieben ist? Eine Bilanz.

Christine Nöstlinger wartet schon am Lift, der in ihre Dachgeschoßwohnung im 20. Wiener Bezirk führt. Auf dem Weg zu ihrer Wohnungstür kämpft sie auf einem Loggiagang gegen Tauben, die hier nisten möchten. Für die hat sie kein Verständnis. Für vieles andere schon – auch wenn es ihr lieber wäre, es nicht haben zu müssen.

Frau Nöstlinger, glauben Sie, dass Kinderbücher etwas dazu beitragen können, andere, fortschrittlichere Rollenbilder zu entwickeln und die Welt zu verändern?
Christine Nöstlinger: Na, das glaub ich eigentlich nicht. Man könnte im höchsten Fall sagen, sie sind so etwas wie flankierende Maßnahmen. Sie können bestärken. Natürlich, ich meine, ich will über andere Kinderbücher nicht schimpfen. Aber wenn Kinder dauernd so Sachen kriegen wie – was weiß ich – Lillifee oder so was, na ja, dass sie sich dann anders verhalten und anders benehmen, weil sie das nachspielen, ist klar. Aber im Grund genommen kommt’s eher drauf an, wie das Daheim ist, was die Mutter für eine Rolle spielt, wie der Vater zum Beispiel einen Teil vom Haushalt übernimmt oder nicht übernimmt. Aber ich glaub, von Büchern kommt da nicht viel. Das hat schon der Tucholsky­ gesagt: „Mit zehn Fingern auf der Schreibmaschine verändert man die Welt nicht.“ Das geht leider nicht.

Sie haben einmal gesagt, dass Sie damals, als Sie anfingen zu schreiben, glaubten, die Welt würde in 30 Jahren eine bessere sein.
Ja, das hab ich gesagt, ja.

Jetzt schaut die Sache aber ganz anders aus.
Ja, die schaut heut anders aus, leider. Es ist so, nicht nur in Österreich, in ganz Europa, würde ich sagen, legt die Hälfte der Bevölkerung keinen Wert mehr auf Demokratie. Die sozialistischen Werte, von denen ich träumte, sind mir heute noch wichtig. Aber ich gehe auch noch ein Stückl weiter zurück mit meinen Hoffnungen. Wenn ich sehe, dass wir in Österreich schon stolz drauf sind, dass 54 Prozent Van der Bellen gewählt haben, dann ist das im Grunde genommen eine Katastrophe.

Sie sind immer noch sehr nahe dran am Zeitgeschehen …
Das will ich hoffen!

… wie arbeiten Sie denn heute noch daran, etwas zum Positiven zu verändern?
Eigentlich bin ich ratlos. Die Vorstellungen, die Rezepte, die ich immer hatte – mehr Bildung, mehr Wohlstand – funktionieren offenbar nicht. Aber es macht mich eigentlich … ich tät am ehesten sagen: traurig. Mit 81 Jahren wird man nicht mehr zornig. Es wär schön, wenn man das noch könnte. Aber irgendwie – zumindest ich kann es nicht. Also bin ich nicht zornig und wütend, sondern resigniert und traurig. Ich hab mir eigentlich lange genug vorgestellt – sagen wir es einmal so –, dass die Welt, wenn ich sterbe, irgendwie besser und schöner ist als zu der Zeit, als ich auf die Welt gekommen bin. Abgesehen also von den ersten Kindheitsjahren, weil da war NS-Zeit, also da war’s noch schiacher. Aber ansonsten ist nix schöner und besser geworden.

„Na, sicher unterschreib’ ich das 
Frauenvolksbegehren!“

Anfang 2018 soll es ein neues Frauenvolksbegehren geben. Wie stehen Sie dazu?
Na, sicher unterschreib’ ich es. Und sicher hab ich auch dafür geworben. Es sind ein paar Forderungen drinnen, die natürlich überhaupt nicht durchzusetzen sind.

Haben Sie 1997 das erste Frauen­volksbegehren auch unterschrieben?
Ja, freilich. Aber wenn man es zugespitzt sagt, das, was wir vor 20 Jahren gefordert haben, davon ist nix durchgesetzt worden. Das Einzige, was wir erreicht haben, ist ein Binnen-I. Und das brauch ich schon überhaupt nicht.

Das Gendern ist nicht so Ihres?
Es soll mir recht sein. Wer gendern will, soll gendern. Wenn ich jetzt immer sag: „Die SchriftstellerInnen …“ – wer weiß denn dann, wen ich mein’? Meine Töchter sagen zum Beispiel: „Na gut, dann schreiben wir jetzt alles mit kleinem i. Jahrhundertelang haben die Ärztinnen unter ,Ärzte‘ fungieren müssen. Dann können jetzt einmal ein paar Jahrhunderte die Ärzte unter ,Ärztinnen‘ fungieren.“ Aber ich find, so viel Zeit muss überhaupt sein, dass man „Ärztinnen und Ärzte“ sagt.

Sprache wird nicht schöner dadurch, oder?
Nein, und Sprache verändert auch keine gesellschaftlichen Situationen! Keine Billa-Kassiererin kriegt einen besseren Stundenlohn, weil wir die Sprache gendern.

Bücher verändern die Welt nicht, Sprache verändert die Welt nicht. Was bedeutet das für eine Schriftstellerin?
Na ja, ich hab gesagt: Sie sind flankierende Maßnahmen. Sie verändern nix, aber sie können mithelfen, dass Veränderung eintritt.

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  • Veröffentlicht: 08.08.2017
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