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04-05/24

Willkommen in der Realität, Barbie?!

Willkommen in der Realität, Barbie?!
Bild: Warner Bros. Pictures

Vom unerreichbaren Schönheitsideal zur Sichtbarmacherin der weiblichen Herausforderungen? Warum der nun zu streamende Film „Barbie“ von Regisseurin Greta Gerwig einen Nerv trifft.

Juni 2023: Der Saal verdunkelt sich, meine rechte Hand steckt tief in der Popcorntüte. Eine fast andächtige Stille breitet sich den Kinosaal aus. Einige der anwesenden Frauen sind in Rosa gekleidet. Sie sitzen in Grüppchen, dazwischen Mütter mit Kindern. Was auffällt: Auch viele Buben und Männer sind anwesend. Ein potenzieller Grund dafür könnte der Hype um den Film sein, der sich mit den HauptdarstellerInnen Margot Robbie als Barbie und Ryan Gosling als Ken fernab der Animationsfilme meiner Kindheit positioniert – also ganz ohne Feen oder Einhörner auskommt und dafür eine Prise Kritik am Patriarchat über die Handlung streut.

Der in den Trailern und der vorab kräftig gerührten Werbetrommel versprochene Humor schwingt gleich zu Beginn des Films mit. Meine Finger treffen bald auf den buttrigen Boden der Popcorntüte, als ich gebannt Barbies Entwicklung verfolge. Denn: Binnen weniger Minuten laufen die Dinge nicht mehr so rund in ihrer matriarchalisch geprägten Welt, in der alle Barbies Traumberufe ergreifen, während die Kens tatenlos am Strand herumhängen und nur als Beiwerk für das scheinbar perfekte Barbie-Leben fungieren. Nach kurzer Zeit wünscht sich Goslings Ken mehr von seiner Existenz, mehr von seinen Beziehungen. Er wird jedoch von den vorherrschenden Strukturen davon abgehalten, diese Ziele zu erreichen. Ich lache oft, aber allmählich wird die Komik von einem mulmigen Gefühl unterwandert: Ich erkenne mich wieder. Jedoch nicht in Barbie, sondern in Ken.

„Das flaue Gefühl im Magen wird zur greifbaren Übelkeit, als sie mit Ken im Partnerlook auf Rollschuhen auf einer Strandpromenade im Westen der USA unterwegs ist: ihr begegnen Anzüglichkeit und sexuelle Kommentare, er fühlt sich unterdessen keinerlei bedroht.“

Rosa, aber realitätsnah

Dann begibt sich Barbie auf eine Reise in unsere Realität. Das flaue Gefühl im Magen wird zur greifbaren Übelkeit, als sie mit Ken im Partnerlook auf Rollschuhen auf einer Strandpromenade im Westen der USA unterwegs ist: ihr begegnen Anzüglichkeit und sexuelle Kommentare, er fühlt sich unterdessen keinerlei bedroht. Während Barbie die Leichtigkeit immer mehr abhandenkommt, blüht ihr männlicher Gegenpart auf. Eine Wendung, die mein Herz schneller schlagen lässt, und mich selbst im gemütlichen Kinositz meines Körpers bewusst macht.

Jetzt fühle ich mich wie Barbie. ­Wie sie war ich schon viel zu oft den verbalen und körperlichen Bedrohungen und Anzüglichkeiten unserer „Männer-sind-halt-so-Gesellschaft“ ausgesetzt, in der fremde Körper zum Objekt von Schönheitsidealen gemacht und der eigenen Unterhaltung unterworfen werden:

In diesem Moment denke ich zurück an einen Bekannten, der mir nach dem Hineinschlüpfen in meine Lederjacke gesagt hat, ich solle sie doch wieder ausziehen – so könne er mir ja gar nicht in den Ausschnitt schauen. Damals war ich 18 Jahre alt.

Ich denke zurück an das Ausgehen mit einer Freundin, bei dem ein Nachtclubbesucher persistent versucht hat, uns auf ein Getränk einzuladen. Als wir ablehnten, hat er uns beschimpft. Damals war ich 22 Jahre alt.

Ich denke zurück an den Lyon-Besuch während meines Auslandsstudiums in Frankreich. An die Nacht, in der ich mit zwei Mitstudentinnen an einer Bushaltestelle von einem Mann mittleren Alters bedrängt wurde. Er bot uns Geld dafür an, mit ihm zu schlafen, und lief erst weg, als meine Mitstudentin zu schreien begann. Damals war ich 24 Jahre alt.

Barbies Erlebnis in dieser Szene steht für die Erfahrungen zahlreicher – wenn nicht aller – Frauen. Über diese grimmige Wahrheit können nicht einmal Robbies und Goslings schrille Outfits hinwegtäuschen.

„Wir sollen schön und makellos sein, uns aber nicht dafür bemühen. Der Körper muss dünn sein, aber nicht zu dünn. Auch ein gut gefülltes Bankkonto ist ein Muss. Schlau sollen wir sein, sonst ist man langweilig, aber unsere Intelligenz dürfen wir genauso wenig zur Schau stellen wie unsere Finanzen.“

„Frau“ in einer patriarchalen Gesellschaft

Es wird noch unangenehmer: Ich bin kurz davor, mir Einhörner in den Film zu wünschen, als Ken das Patriarchat entdeckt und in Barbies Welt bringt. Rasch nimmt dort die Degradierung von Frauen an Fahrt auf. Aus Ingenieurinnen und Ärztinnen werden Bier-Kellnerinnen in aufreizenden Outfits, die die männliche Fantasie überzeichnet und stereotypisiert verkörpern. Anspannung baut sich auf, die in einem emotionalen Monolog der Schauspielerin America Ferrera (im Film die Besitzerin von Robbies Barbiepuppenpendant in der realen Welt) gipfelt.

Als sie über die völlig widersprüchlichen Anforderungen an Frauen spricht, werden meine Augen feucht. Weil jedes ihrer Worte die Absurdität granuliert, der man als weibliche Person tagtäglich ausgesetzt ist: Wir sollen schön und makellos sein, uns aber nicht dafür bemühen. Der Körper muss dünn sein, aber nicht zu dünn. Auch ein gut gefülltes Bankkonto ist ein Muss. Schlau sollen wir sein, sonst ist man langweilig, aber unsere Intelligenz dürfen wir genauso wenig zur Schau stellen wie unsere Finanzen. Das Schauerliche dahinter: Jegliche Selbstbestimmung wird unter dieser Last erstickt, die Wünsche an das eigene Selbst mutieren unter der gesellschaftlichen Definition des Wortes „Frau“. Die internationale Resonanz, die diesem Monolog folgt, macht deutlich: Weibliche Herausforderungen müssen noch sichtbarer gemacht werden.

Barbie, die neue Wegweiserin?

Standen Barbiepuppen aufgrund ihrer unerreichbaren Körperideale über Jahre hinweg in der Kritik, so hat der dahinterstehende Konzern Mattel nun versucht, eine feministische Konversation zu starten – wobei Regisseurin Greta Gerwig jedoch auch im Film nicht mit Kritik an Mattel spart. Ob der Film zur Absolution darüber verhilft, dass das Unternehmen jahrelang unrealistische Körperbilder und eine homogene – sowie eine als feministisch vermarktete – Darstellung von Frauen gefördert hat? Wohl kaum. Feminismus ist mehr als Barbies und Kens Weg und so viel breiter, als in einem lediglich rund zweistündigen Film dargelegt werden kann. Weder die Realität noch die vorab perfekt scheinende Barbie-Welt bilden eine weiterentwickelte und reflektierte Gesellschaft ab, in der Chancen gleich verteilt sind, persönliche (Körper-)Grenzen gewahrt werden und die Vielfalt an Lebensrealitäten vollständig anerkannt ist.

Vielmehr scheint Barbie als Wegweiser zu fungieren, der Ungerechtigkeit und die Bedrohungen, denen sich Frauen gegenübersehen, humorvoll aufzeigt. Eine Möglichkeit, Genderdiskussionen niederschwellig voranzutreiben? Zu zeigen, dass es nie Barbie „oder“ Ken sein muss, sondern das Wörtchen „und“ für mehr wertvollen Ausgleich in unserer Gesellschaft führen kann?

„Die Popcorntüte verschwindet im Mülleimer, aber das Wissen, dass es bei der Gleichstellung noch viel zu tun gibt, bleibt.“

Ich verlasse den Kinosaal, erneut betroffen von der weiblichen Realität und gleichzeitig beseelt von dem transportierten Hoffnungsschimmer, dass wir uns ebenso weiterentwickeln können wie Barbie und Ken. Die Popcorntüte verschwindet im Mülleimer, aber das Wissen, dass es bei der Gleichstellung noch viel zu tun gibt, bleibt. Es wird dauern, bis Frauen und ihre Körper nicht mehr herabgewürdigt werden, bis Gleichstellung angestrebt anstatt verlangsamt wird. Ich denke an die kleine Anna und die Puppen, die seit gut zwei Jahrzehnten in einer Schachtel am Dachboden verstauben. Die zuerst Spielzeug und später Maßstab waren. Es scheint, als wäre Barbie nach all dieser Zeit in meiner Realität angekommen.

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  • Veröffentlicht: 21.02.2024
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