Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Das Dorf der Frauen

Das Dorf der Frauen

Notiz #11: Über meine Filmreise in die namibische Savanne & ein Himba Dorf, in dem nur Frauen leben. Von Natalie Halla.

Ockerfarbene Frauen

John, mein Himba Übersetzer, hat sich in der afrikanischen Savanne in Luft aufgelöst und so sitze ich alleine inmitten all der fröhlichen ockerfarbenen Frauen und Kinder auf dem ockerfarbenen Boden und versuche mich mit meinen mittlerweile auch schon ockerfarben gewordenen Händen und Füßen zu verständigen, so gut es halt geht. Irgendwie bekommen wir es hin. Ich lerne ihnen ein paar Worte Deutsch und schon bald klingt ein Chor von mit Himba Akzent stark gefärbtem „Danke“ lautstark durch das gesamte Dorf. Am besten funktioniert jedoch die universellste Sprache auf Erden: das Lachen. Auch hier, ganz im Norden Namibias, bei dem einzigartigen Volk der Himba, einem der letzten Nomadenstämme Afrikas.

Das Dorf der Frauen

Sieben Jahre ohne Regen

Viele Stunden Fahrt in einem desolaten, mit einem riesigen Wassertank versehenen Pickup bei über vierzig Grad Hitze trennen mich von Opuwe, dem letzten Aussenposten der Zivilisation, bevor man sich im Reich der Himba verliert. Wasser gibt es hier keines. Auch Gras wächst keines mehr. Der sandige Boden ist so trocken und staubig, sodass die Frauen und Kinder hier ständig husten müssen. Seit sieben Jahren fällt kein Regen, erzählen sie mir. Sieben Jahre. Die Bäume der afrikanischen Savanne sind seltsamerweise noch grün. Irgendwo tief unter dem steinigen Boden, in Reichweite der Wurzeln muss es noch Grundwasser geben. Die Natur ist geduldig, überlebt lange Zeit, bis es dann irgendwann nicht mehr geht. Ich frage mich, wann dieser Moment gekommen sein wird. Dann gibt es keinen Schatten mehr für die Menschen hier und auch kein Brennholz für ihre Feuer, auf denen sie ihren täglichen Ziegenmilchbrei rühren. Dann geht auch das heilige Feuer aus. Ein Feuer, das niemals erlöschen darf und mit dessen Hilfe die Himba mit ihren Ahnen kommunizieren.

Das Dorf der Frauen

Ein Dorf ohne Männer

Das kleine Himba-Baby, das man mir stolz in die Arme drückt, quietscht vergnügt, als ich es weit in die Höhe halte und reißt mich aus meinen Gedanken. Irgendwas scheint seltsam hier in diesem kleinen ockerfarbenen Dorf. Lange Zeit weiß ich nicht, was es ist, bis ich begreife. Ich sehe keine Männer. Keinen einzigen. John erklärt mir später, dass die meisten Himba Männer aufgrund der jahrelangen Dürre weggezogen sind, um in den Städten ihr Glück zu versuchen. Das erklärt auch, warum die wenigen verbliebenen Männer gleich mehrere Frauen haben. Ich zähle sie: zwei Männer und über zehn Frauen. Nur beim Zählen der Kinder gebe ich irgendwann auf. Dabei wirbelt jetzt das Dorf nur von Kleinkindern. Die älteren Kinder hat man zum Hüten der Ziegenherden in die Berge geschickt. Nur dort oben wächst noch etwas Gras. Seit der Regen ferngeblieben ist, bleiben jetzt auch die Kinder fern.

Das Dorf der Frauen

Die Sorgen der Himba

Mit den zwei Himba Männern und meinem Übersetzer John wandere ich später hinauf auf den Gipfel der Hügelkette im Norden des Dorfes. Es wird ein langer Marsch in brütender Hitze. Sie wollen mir von dort oben jenen Ort in der Ferne zeigen, wo die heiligen Stätten der Himba liegen und wo der von der Namibischen Regierung gegen den Willen der Himba geplante Staudamm am Kunene Fluss gebaut werden soll. Die gleichgültigen Wasserfluten dieses Dammes werden alles verschlingen. Die kulturelle Vergangenheit der Himba und ihre Zukunft. Als ob der Klimawandel und die dadurch verursachte Jahrhundertdürre nicht schon alleine ausreichen würden, ein uraltes Volk auszulöschen.

Das kleine Himbadorf jedoch dort unten, umgeben von dem saftigen, trügerischen Grün seiner Savanne, scheint von all dem unberührt. Hier geht das Leben so weiter, wie es immer schon war. Nicht vieles hat sich dort seit Jahrtausenden geändert. Nur die Männer und Kinder sind weg.

Das Dorf der Frauen

Natalie Halla

Natalie Halla

spricht sechs Sprachen, ist weitgereist und arbeitet als unabhängige Filmemacherin. Ihre „Notizen einer Abenteurerin“ bieten sehr persönliche Einblicke in eine unbekannte, spannende Welt abseits üblicher Reiserouten und befassen sich auch mit sozialen und humanitären Ungerechtigkeiten, denen sie begegnet ist.
www.nataliehalla.com

Foto: Alexandra Grill

Fotos: Natalie Halla

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 17.10.2020
  • Drucken