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04-05/24

Mein Kind lernt anders

Mein Kind lernt anders

Die wichtigsten Fragen zur Reformpädagogik

Wie viele SchülerInnen besuchen Reformschulen?
Im Schuljahr 2012/2013 besuchten circa 6295 SchülerInnen in Österreich „allgemeinbildende (Statut-)Schulen“ (Tendenz gleichbleibend). Unter diese Kategorie fallen reformpädagogische Schulen. Hinzu kommen circa 900 Kinder, die in „freien Alternativschulen“ lernen, die meist als „häuslicher Unterricht“ geführt werden.

Welche Schulformen gibt es?
Freie Alternativschulen: Das Kind wird als selbstbestimmtes Wesen angesehen, es gibt keine Hierarchien zwischen Lehrenden, SchülerInnen und Eltern, Entscheidungen werden basisdemokratisch gefällt. Verschiedene pädagogische Konzepte werden angewandt. Im „Netzwerk freier Schulen – Bundesdachverband für selbstbestimmtes Lernen“, gibt es derzeit 34 Mitgliedsschulen mit circa 900 Schülerinnen und Schülern. www.unsereschulen.at
Montessori: Diese Form der Pädagogik geht auf die italienische Ärztin Maria Montessori zurück (1870–1952). Ihr Leitspruch ist: „Hilf mir, es selbst zu tun“. Die Kinder dürfen ihre Arbeit selbst wählen, nachdem sie von PädagogInnen eine Einführung erhalten haben. Es wird spezielles Lernmaterial angeboten. Der Unterricht findet in jahrgangsübergreifenden Gruppen statt. Die „Österreichische Montessori-Gesellschaft“ umfasst 14 Schulen mit ca. 600 SchülerInnnen. www.montessori.at

Waldorf: 1919 gründete der Philosoph und Esoteriker Rudolf Steiner (1861–1925) die erste Schule nach seinen pädagogischen Vorstellungen für Arbeiterkinder der Waldorf-Astoria-Zigarettenfabrik in Stuttgart. Der Unterricht legt viel Wert auf Praktisch-Handwerkliches und Künstlerisches. Wichtig ist der Bezug zur Natur. Die Waldorfpädagogik umfasst einen Unterricht in Epochen (intensives Lernen eines Gegen­standes), der oder die Lehrende sollte  als „geliebte Autorität“ angesehen werden. Im „Waldorfbund Österreich“ werden derzeit 15 Schulen mit einer Schülerzahl von 2.540 vereinigt (plus zwei Schulgründungen). www.waldorf.at

Welche Abschlüsse bieten diese Schulen an?
Viele „freie Alternativschulen“ werden offiziell wie „häuslicher Unterricht“ geführt, das heißt, die SchülerInnen müssen jedes Jahr eine externe Prüfung ablegen. Die meisten Montessori- oder Waldorfschulen sind Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht und können Abschlüsse anbieten, etwa jenen der Hauptschule. Einige Waldorfschulen schließen mit Matura ab, der neue „Campus Wien-West“ (Oberstufe mit Waldorf- und MontessorilehrerInnen) führt bis zur internationalen Hochschulreife.

Waldorf-Schulgründung in Pamhagen

Kinder können alles lernen
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Ein Bauernhof wurde zur Schule: Zimmer der ersten Klasse.

Beim Besuch im vergangenen Herbst war die neue Waldorfschule im Dorf Pamhagen, im burgenländischen Seewinkel, gerade seit wenigen Wochen in Betrieb. Hier hatte allen voran das Ehepaar Werner und Angela Michlits einen alten Bauernhof in der Dorfmitte zur Schule und zum Kindergarten umgebaut. Es lagen nervenaufreibende Monate der Schulgründung hinter allen Beteiligten. Die Vorurteile im Dorf oder in Schulbehörden gegenüber dem Projekt waren laut Michlits groß. Doch letztlich konnten zumindest die bürokratischen Hürden überwunden werden.

Als wir das neue Schulprojekt besuchten, war Unterrichtsende: Die 15 Kinder, die in diesem Schuljahr bis zur fünften Schulstufe unterrichtet werden, halfen mit, die gemütlichen Klassenräume zu säubern. Die Schule an der Grenze zu Ungarn wird ungarisch und deutsch geführt. Für die Michlits ein längst überfälliger Brückenbau zwischen den Nachbarn. Im Innenhof der kleinen Schule ist ein Garten, den die Kinder bebauen, dahinterliegend eine Wiese, auf der Schafe und Hühner, je nach Jahreszeit, leben und Obstbäume wachsen. Hier sollten Kinder nicht nur die Nähe zur Natur lernen, sondern auch handwerklich und künstlerisch gefördert werden.

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Spielplatz aus Naturmaterialien: Die Kinder hüpfen ins Stroh

In der Waldorfpädagogik gehe es nicht darum, den Kindern möglichst viel „einzutrichtern“, sondern sie Dinge zu lehren, die sie im Leben brauchten, ist Angela Michlits überzeugt. Sie ist Obfrau der Schulinitiative und Mutter dreier Kinder, die nun hier die Waldorfschule und den dazugehörigen Kindergarten besuchen. „Wenn Kinder in sich ruhen, können sie alles lernen“, sagt sie. Die Michlits betreiben im Dorf einen landwirtschaftlichen Betrieb nach biodynamischen Grundsätzen (auch nach Rudolf Steiner). Sie wollten daher auch eine Schule für ihre Kinder, die nach dieser Weltanschauung arbeitet.

Einige Monate später hat sich die Schule nach Angaben der GründerInnen gut entwickelt. Das Interesse steige. Zum einen seien etliche Eltern mit dem jetzigen Schulsystem unzufrieden, andererseits könnten sie vermitteln, wie gut sich die Kinder in ihrer Schule entwickeln, erklärt Werner Michlits: „Alle Kinder haben aus sich heraus einen Wissensdurst entwickelt.“ www.waldorf-pannonia.org

Welche Schule passt zu meinem Kind?

Nicht immer haben Eltern die Wahl, welche Volksschule ihr Kind besuchen wird. Aber wenn doch – worauf sollten sie achten?

Eine zuverlässige Checkliste mit Kriterien gebe es nicht, sagt Barbara Schober, Expertin für psychologische Bildungs- und Trans­ferforschung am Institut für Angewandte Psychologie der Universität Wien. Es werde immer ein Abwägungsprozess zwischen pädagogischem Konzept und praktischen Fragen sein. Aber über all dem steht die entscheidende Frage: Was wollen wir für unser Kind?

Zufällig sollte die Volksschule nicht gewählt sein: „Denn sie ist, da der Einstieg ins Bildungssystem, ein entscheidender Schritt“, sagt Schober. Es gebe sehr wohl wissenschaftlich abgesicherte Kriterien, die eine „effektive Schule“ beschreiben: Der Schule sollte es gelingen, die zunächst hohe Lernmotivation der Kinder zu erhalten. Ebenso müsse Raum dafür sein, dass sich ein Kind nach seinem Tempo entwickeln könne.

Eine Frage sei auch, wie eine Schule mit kultureller Vielfalt umgehe. Um das auszuloten, sollten Eltern den „Tag der offenen Tür“ einer möglichen Schule besuchen, deren Homepages lesen, mit VertreterInnen des Elternvereins reden. Auch die Schule einmal an einem „normalen“ Tag kurz zu besuchen, hält Schober für nicht übertrieben. Vor allem sollten Eltern sich nicht scheuen, konkret nachzufragen. Wie mit Fragen der Eltern umgegangen wird, sage schon einiges über die Kommunikation innerhalb der Schule aus.

Wer entscheidet: Eltern oder Kind?
Kinder sollten das Gefühl haben, mitreden zu können, rät die Bildungspsychologin. Letztlich entscheiden müssten aber die Eltern. Kinder seien damit überfordert und ließen sich schnell auch von eher nebensächlichen Sachen beeindrucken. Aber Eltern sollten mit dem Kind darüber reden, was wer an einer Schule gut findet und was weniger. Der Wunsch vieler Kinder, in jene Schule zu wollen, in die auch ihre KindergartenfreundInnen gehen, sei dabei zumindest einzubeziehen, denn gerade beim Schuleinstieg brauchen Kinder Sicherheit, so Schober.

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Bildungsexpertin Barbara Schober rät Eltern, alles auszu­loten, was für eine Schulentscheidung wichtig ist.

Nähe oder Pädagogik?
Es ist einfach praktisch und entlastet gestresste Eltern: Schule und Hort, die nahe zum Wohnort oder Arbeitsplatz liegen. Diese Rahmenbedingungen seien gerade im Volksschulalter nicht zu unterschätzen, so Schober. Aber letztlich bliebe auch hier Eltern nichts anderes übrig, als für sich abzuwägen.

Lehrerin oder Schule?
Manche Eltern würden sich nur allzu gern auf eine beliebte Lehrerin versteifen, die vermutlich eine der ersten Klassen übernehmen wird. Doch Schober warnt: In einer „effektiven Schule“ müsse ein pädagogisches Team gemeinsam ein Gesamtkonzept für die Schule entwickeln, es könne nicht nur bei einer Lehrkraft liegen, ob der Unterricht gelinge.

Reformpädagogik oder Regelschule?
Reformpädagogische Schulen setzten vielfach das um, was auch die Bildungspsychologie als sinnvollen Unterricht erachtet, betont Schober: handlungsorientierten, selbsttägigen Unterricht, der das Kind ganzheitlich fördert. Aber das werde auch oft in guten Regelschulen verwirklicht. „Für eine private reformpädagogische Schule muss meist bezahlt werden und man kauft oftmals eine Ideologie“, gibt Schober zu bedenken. Bei kleineren Schulinitiativen müsse auch beachtet werden, wie stabil sie seien. Denn Kinder bräuchten Verlässlichkeit.

 

 

Erschienen in „Welt der Frau“ 04/14 – von Regine Bogensberger

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  • Veröffentlicht: 01.04.2014
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