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Familie
11/12/24

Wenn Worte auf Füße treten

Wenn Worte auf Füße treten
Foto: Adobe Stock

Reden in Beziehungen ist wie Tanzen: manchmal harmonisch, manchmal holprig. Wie findet man gemeinsam den richtigen Takt, welche kommunikativen Stolperfallen gilt es zu vermeiden und welche Tricks führen zu guter Kommunikation?

Es sind die harmlosen Fragen im Alltag, die bei mir – je nach Zyklusphase – kommunikative Tsunamis auslösen können. Beispielsweise folgende: „Was gibt’s zu essen?“ Die einzig ungültige Antwort auf meine Gegenfrage, was sich die Herrschaften denn wünschen, lautet „Mir egal!“. Wer sich an diese Faustregel hält, hat schon mal gute Karten für ein konstruktives Gespräch. Grundsätzlich aber tut sich bei dieser Frage ein sprachliches Minenfeld auf. Während ich in der ersten Zyklushälfte geduldig, konstruktiv bis liebevoll antworte, kann nach dem Eisprung durchaus ein kämpferisches „Wieso bin ich immer dafür zuständig?“ aus mir herauskommen.

Mit ein und derselben Frage sage und höre ich unterschiedlichste Dinge

Stelle ich diese Frage meinen Lieben, dann meine ich wahlweise:

  • Ich will mir bitte bloß nichts selbst überlegen.
  • Kann jemand die Verantwortung für das Essen übernehmen?
  • Unterstützt mich bitte bei dieser täglichen Mühsal und bringt euch ein.

An mich gerichtet, verstehe ich bei denselben Worten wahlweise:

  • Überlege dir, was du kochen kannst.
  • Du bist zuständig!
  • Wir sind hilflos ohne dich.

Der Tanz der Missverständnisse

Ganz schön viel Inhalt für die paar Worte! Und dabei reden wir noch gar nicht davon, wie schwierig es ist, für einen fünfköpfigen Haushalt eine Mahlzeit zu planen, die allen schmeckt oder zumindest „passt“. Denn das kann auch wieder alles Mögliche heißen. Das simple „Passt schon“ kann von lethargischer Gleichgültigkeit über tatsächliche Zustimmung bis hin zu eingeschüchterter Diskursverweigerung alles bedeuten. Ich schüttle innerlich den Kopf und überlege, ob ich vielleicht versteckte Superkräfte brauche, um diese ewige Frage nach der Essenswahl zu lösen. Ich sehe der Tatsache ins Auge, dass „alles“ eben manchmal nichts bedeutet – außer einem Tanz rund um Missverständnisse.

Samba der Kommunikation

Kommunikation in der Partnerschaft ist eine der beständigsten Herausforderungen und eines der größten Entwicklungsfelder. Worte haben ihre eigene Sprache. Die vielfältigen Optionen, die sich in einem schlichten „Wie geht es dir?“ verstecken, können Menschen mehr zum Schwitzen bringen als jeder Wienerwalzer. „Wie geht es dir?“ kann „Ich will wissen, wie es dir wirklich geht“ bedeuten oder „Erzähl mir von deinen Gefühlen“ oder aber auch schlicht „Sag mir bitte, dass alles okay ist und ich mich nicht weiter kümmern muss.“ Das richtige Zuhören ist schwieriger, als man denkt. Die Essenz des Gesagten zu erfassen, ist so herausfordernd, wie einen Slowfox oder eine Samba schön zu tanzen.

Mühsamer Balanceakt mit optionalem Scheitern

Weniger zu streiten, ist ein heiß ersehntes Ziel von Paaren in Beratung, die darunter leiden, aneinander vorbeizureden, oder sich dauernd mit Worten auf die Füße steigen. Ich rate jedoch tunlichst davon ab, schwierige Gespräche zu vermeiden. Stattdessen will ich Mut machen, unbequeme Unterhaltungen zu führen. Im übertragenen Sinne gesagt: Ich unterstütze Paare dabei, zu lernen, wie man tanzt – nicht wie man vermeidet, sich zur Musik zu bewegen. Auch wenn das ein Balanceakt ist, der immer wieder scheitern kann.

Seit etwa zwei Jahren gehen mein Mann und ich einmal pro Woche als Paar tanzen. Es ist so viel mehr als Bewegung zur Musik. Wir lernen neue Schritte, folgen den Anweisungen der Tanzlehrkräfte und drehen unsere Runden auf dem Parkett. Einmal elegant und harmonisch, dann wieder holprig und verwirrt. Es ist Paarzeit und gleichzeitig ein gemeinsames Wachsen und Scheitern. Was bei Profis so leicht aussieht, beginnt bei uns manchmal mühsam mit der Frage: „Was tanzen wir denn zu dieser Musik? Und welcher Fuß beginnt?“

Vorwärtsgetanzte Rückversicherung

So geht es Menschen auch mit der zwischenmenschlichen Kommunikation. Wir verstehen oft nicht, was der/die andere konkret sagen will. Und können erst recht nicht entsprechend antworten. Wir interpretieren das Gehörte anders, als es gemeint war, und allgemeine Verwirrung kommt auf. Die kleine Wunderwaffe gegen diese Zustände ist die einfache Frage „Was hast du gehört?“ oder ein selbstinitiatives „Habe ich dich richtig gehört?“. Wiederholen, was man gehört hat, gegebenenfalls auch, was man zwischen den Zeilen verstanden oder interpretiert hat, ist ebenso essenziell. Solche Rückversicherungen lassen uns mit einfachen Schritten vorwärts tanzen. Gemeinsam und im Takt.

Humor als Wunderwaffe bei Bauchlandungen

Neue Kommunikationsstrategien schrecken Menschen oft ab. „Da muss ich mich so verstellen!“ ist die häufige Barriere, die hindert, Dinge anders zu probieren. Ich ermutige dazu, andere Wege zu gehen, wenn man wo anders hinkommen will. Dabei ist es erlaubt, Fehler zu machen, und es lohnt sich, die nötige Leichtigkeit und den Humor zu bewahren. Sonst wird eine Situation schnell frustrierend und mühsam.

Vor einigen Monaten passierte es auf der gut gefüllten Tanzfläche der Tanzschule unseres Vertrauens: Beim Wienerwalzer kreuzte ich mit meinen glitzernden Lederschuhen beim Linkswalzer so gut ein, dass ich mit dem Stöckel im Riemen hängen blieb. Mit vollem Schwung legte ich mir selbst das Bein und fiel rückwärts – natürlich ohne meinen Mann auszulassen. Stark wie ich bin, riss ich ihn also mit in die Tiefe und so lagen wir da: geplättet wie zwei Palatschinken. Unfähig uns zu bewegen, fingen wir beide heftig zu lachen an – verletzt wurde glücklicherweise niemand.

Kapitale Stürze sind kein Grund aufzugeben

Die herbeieilenden TanzkollegInnen erkundigten sich, ob alles okay sei. Wir standen auf, rückten Schuhe und Kleidung zurecht und atmeten einmal erheitert durch. Dann tanzten wir weiter. Im Erdboden versinken? Keine Option. Der Boden in der Tanzschule ist nicht nur hart, sondern kratzfest. Aufgeben und heimfahren? Sicher nicht, denn alles ist nun mal schwer, bevor es leicht wird. Von einem kapitalen Sturz aufhalten lassen können sich andere.

So dürfen wir auch über Kommunikation in der Partnerschaft denken. Wird es weiterhin Konflikte geben? So sicher, wie weiter zu Musik getanzt wird. Werden wir deshalb aufhören, miteinander zu reden und uns um gegenseitiges Verstehen zu bemühen? Ganz bestimmt nicht, denn was wäre das Zusammenleben ohne Musik? Oder Kommunikation? Also lernen wir mit jedem Gespräch. Entwickeln uns mit jedem Lied. Und erinnern uns daran, dass nicht jede Unterhaltung ein technisch anspruchsvoller Slowfox ist. Kommunikation soll und darf Spaß machen – und so einfach wie eine Polka sein.

Quicksteppmäßig entscheide ich heute, was es zu essen gibt: Pasta mit roter Sauce. Das geht schnell und macht alle glücklich. Ein anderes Mal darf es gern wieder aufwändiger sein – wenn die Zyklusphase passt. So bleibt die Kommunikation rund um die Menüfragen wohl ewig ein West Coast Swing: ein Spiel aus Führen und Folgen und sehr viel Spannung zwischendrin. Notiz an mich selbst: die Musik dabei genießen, auch wenn mir mal wieder jemand auf die Zehen steigt. Das Leben ist ernst genug. Lasst uns hindurch tanzen.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin, Elementarpädagogin & Supervisorin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 29.11.2024
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