In traurigen und hoffnungslosen Momenten stecken oft unerwartete Chancen. Drei Frauen erzählen von Krisen und Schicksalsschlägen, die zu inspirierenden Umbrüchen führten und ihnen letztendlich halfen, sich selbst neu zu finden.
„Ich stand im Supermarkt, und mir stiegen Tränen hoch, weil ich nicht wusste, wofür ich mich entscheiden soll“, erzählt Moderatorin Verena Schneider von dem Moment, an dem ihr klar wurde: So kann es nicht weitergehen. Die 43-Jährige befand sich zu dem Zeitpunkt mitten in einem Burn-out. „Ich hatte meinen Job verloren, mein Privatleben war ein Chaos, und gesundheitlich ging es mir auch nicht so gut – im Grunde war es unvermeidbar, dass ich in eine tiefe Krise schlitterte.“ Sie erkannte sich selbst nicht wieder: „Ich hatte an nichts wirklich Freude, alles lief teilnahmslos an mir vorbei.“ Dazu kamen Selbstzweifel: „Ich habe geglaubt, dass ich einfach nichts kann, weil ich ja ,nur‘ Moderatorin bin. Mein Kopf kreiste endlos, ich kam aus diesem Gedankenkarussell nicht heraus.“ Dann, an Silvester vor zwei Jahren, der nächste Schlüsselmoment: „Ich war bei Freunden. Die Stimmung war ausgelassen, aber ich war Zuschauerin. Nach zwei Gläsern Sekt ging ich nach Hause – das war gar nicht ich. Da wusste ich, etwas muss sich ändern.“
Wichtige Grenzen setzen
Rückblickend betrachtet kam alles so, wie es kommen musste, denn heute steht Schneider fester im Leben als je zuvor. Sie hat viel dafür getan, damit es ihr wieder besser geht: unter anderem Sitzungen bei einer Psychologin in Anspruch genommen, um wieder in Balance zu kommen. Und ganz allein eine dreiwöchige Reise nach Sri Lanka unternommen, um ungeschönte und ehrliche Antworten auf Fragen zu bekommen, die sie beschäftigen. Weitere Aha-Momente brachte ihr eine anschließende Reha im Zentrum für psychosoziale Gesundheit in Tirol. Für sie war das die beste Entscheidung: „Wir alle haben zig Rollen inne – bei Freunden, Familie, im Job –, erfüllen Erwartungen, jagen Zielen hinterher und vergessen dabei oft uns selbst. Wer sind wir, wenn niemand hinsieht? Was wünschen wir uns wirklich? Was treibt uns tief im Inneren an?“
„Ich bin mir gegenüber aufmerksamer geworden. Ich merke sofort, wenn ich mich wo nicht wohlfühle oder mir etwas zu viel ist.“
Verena Schneider erkannte, dass sie nicht immer 120 Prozent geben muss, sondern dass manchmal 90 Prozent reichen. Sie hat gelernt, Grenzen zu setzen und auch einmal Nein zu sagen. Mittlerweile hat Schneider ein gutes Gespür für sich selbst entwickelt: „Ich bin mir gegenüber aufmerksamer geworden. Ich merke sofort, wenn ich mich wo nicht wohlfühle oder mir etwas zu viel ist. Ich erlaube mir jetzt auch, traurig zu sein – und bin dadurch viel glücklicher als zuvor.“ Auch beruflich geht es gerade bergauf: Neben Moderationen bei Veranstaltungen, Events und fürs Radio hält Schneider Keynotes zum Thema Hass im Netz und Burn-out und ist Psychologische Beraterin. Zusammen mit ihrem Kollegen Valentin Galic spricht sie im Podcast „Seifenoper“ einmal pro Woche über die Hochs und Tiefs des Lebens. Jeden zweiten Samstag findet außerdem „Shorty Forty“ im Wiener Club U4 statt – ein Event für über 40-Jährige, das von ihr konzipiert und realisiert wurde. „Es ist gerade sehr viel los bei mir, aber es fühlt sich wirklich gut an, und ich kann voller Überzeugung sagen: Das Leben ist großartig!“
Wachstum durch Herausforderungen
Krisen sind entscheidend für unsere Weiterentwicklung, erklärt die Psychologische Beraterin Viktoria Schretzmayer. Sie zwingen uns, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen, alte Muster zu hinterfragen und neue Wege zu finden. „So intensiv diese Phasen sind, so wertvoll sind sie auch, weil wir gestärkter und klarer daraus hervorgehen. Sie helfen uns, uns näher zu unserer Essenz zu bringen.“ Vorausgesetzt, man stellt sich der Herausforderung, lässt alle Emotionen zu und heraus und gibt dem ganzen Prozess Zeit. „Das Allerwichtigste ist aber der tiefe Glaube daran, dass alles wieder gut wird“, so Schretzmayer.
„Für die meisten meiner KlientInnen waren Krisen im Nachhinein betrachtet die Möglichkeit, aus einem ,alten, falschen‘ Leben auszusteigen.“
Ähnlich wie Moderatorin Verena Schneider erging es der Ernährungstrainerin Elisabeth Koller (52). Die ständige Vernachlässigung ihrer eigenen Bedürfnisse gipfelte in einem vierfachen Bandscheibenvorfall mit Rückenmarksaustritt, den sie aus heutiger Sicht als Glücksfall betrachtet. „Jahrelang hatte ich neben Hausbau, Familie und Job meine Eltern gepflegt – und dabei in all dem Stress und der Anspannung vollkommen verlernt, auf mich selbst zu achten. Mein Leidensweg hat mich schließlich inspiriert, endlich etwas zu verändern und mich selbst wieder in den Mittelpunkt zu stellen.“
Coachin Schretzmayer nennt es liebevoll den „Phönix aus der Asche“-Moment, den sie in ihrem Berufsalltag immer wieder erlebt: „Für die meisten meiner KlientInnen waren Krisen im Nachhinein betrachtet die Möglichkeit, aus einem ,alten, falschen‘ Leben auszusteigen, wo sie zu viele Kompromisse eingegangen und zu selten ihrer eigenen Stimme gefolgt sind.“
Mehr Verantwortung, mehr Lebensgefühl
Nach dem überstandenen Bandscheibenvorfall erfüllte sich Elisabeth Koller einen langgehegten Traum: „Letztes Jahr, mit 51 Jahren und nach 33 Jahren als Angestellte im Marketing, habe ich gekündigt, um mich selbstständig zu machen.“ Jetzt lebt sie ein selbstbestimmtes Leben: „Ich kann meine Arbeitszeiten an meinen Biorhythmus anpassen. Manchmal arbeite ich am Wochenende und nehme mir dafür unter der Woche frei – ganz, wie es mir gefällt. Natürlich habe ich mehr Verantwortung, aber genau das treibt mich an: Ich fühle mich endlich am richtigen Platz.“
„Nicht alles klappt so, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das Leben ist nun mal kein Fertigprodukt. Es erfordert stetiges Anpassen und Ausprobieren.“
Jetzt unterstützt sie Menschen dabei, sich auch an herausfordernden Tagen gesund zu ernähren und ihr Wohlbefinden zu stärken, damit sie mit voller Energie in den Feierabend gehen können. „Nicht alles klappt so, wie ich es mir vorgestellt habe. Aber das Leben ist nun mal kein Fertigprodukt. Es erfordert stetiges Anpassen und Ausprobieren. Aber genau das bewusste Hinschauen und Nachjustieren macht es spannend.“
„Jeder Schicksalsschlag, den wir überwinden, kann auch unser Selbstvertrauen stärken, weil er uns unsere Resilienz und unsere Stärke bewusst macht.“
Resilienz als Lebensprinzip
Auch Resilienztrainerin Petra Herout bestätigt, dass wir Menschen von Natur aus „lernende, resiliente Systeme“ sind. „Ich beobachte, dass in unserer Gesellschaft viel Verunsicherung herrscht und häufig das Gefühl von Ohnmacht dominiert. Dabei sind wir dafür gemacht, mit Krisen umzugehen und an ihnen zu wachsen“, sagt die Expertin und nennt als Beispiel einen gebrochenen Daumen: „So eine Verletzung stellt im ersten Moment eine Krise für meinen Körper dar. Knochenzellen werden zerstört, Nervenbahnen irritiert. Doch unser System passt Bewegungen an, repariert fleißig, und andere Teile, zum Beispiel die linke Hand, übernehmen in der Zwischenzeit Funktionen.“ Hat der Körper die Wunde geheilt, die Krise also überwunden, haben wir etwas dazu gelernt, zum Beispiel besser mit der linken Hand zu schneiden oder zu schreiben. Wir entwickeln uns weiter, lernen Neues. Das Prinzip gilt auch für emotionale und psychische Krisen. Herout: „Jeder Schicksalsschlag, den wir überwinden, kann auch unser Selbstvertrauen stärken, weil er uns unsere Resilienz und unsere Stärke bewusst macht.“
Was wirklich zählt
Bei Medizinerin Elisabeth Krippl war es ein Koma, das ihr gesamtes Leben veränderte – zum Positiven, auch wenn es anfangs nicht danach schien. Die Ursache ihres Komas war eine CO₂-Narkose und eine darauffolgende Intubation aufgrund ihres Asthmas. „Die Erkrankung meiner Atemwege war das Resultat jahrelangen, massiven Mobbings, das sich im Laufe der Zeit immer weiter verschärfte, kombiniert mit einer Arbeitsbelastung von etwa 120 Stunden pro Woche“, so die Ärztin.
Fast drei Wochen lag sie im künstlichen Tiefschlaf. Als sie aufwachte, hatte sich vor allem eins verändert: die Gefühle gegenüber ihrem jetzigen Mann. „Davor war er ein sehr guter Freund, Berater, Helfer in vielen Belangen, Lebensmensch, aber wir waren in keiner Beziehung. Ich lebte auch ausschließlich für meinen Job“, erzählt sie. „Plötzlich aber wurde mir jedes Mal warm ums Herz, wenn ich ihn sah.“
Für Herout nichts Ungewöhnliches. Krisen lassen uns oft neue Prioritäten und Blickwinkel erkennen, weil wir in einschneidenden Situationen anfangen, uns mit wesentlichen Fragen zu beschäftigen. Etwa: Was ist mir wirklich wichtig in meinem Leben?
„Es ist eines der schönsten Gefühle, wenn man jemanden hat, der einem in schwierigen Momenten bedingungslos beisteht.“
Während Krippl im Krankenhaus lag, zog ihr jetziger Mann kurzerhand bei ihr zu Hause ein, um ihre Tiere zu pflegen. Er sorgte dafür, dass ihre Zahlungen weitergeführt wurden, kümmerte sich um ihre Mutter und besuchte sie jeden Tag im AKH. Nach ihrer Rückkehr nach Hause half er Krippl, wieder zu Kräften zu kommen, unterstützte sie im Alltag und stand ihr in jeder Hinsicht zur Seite. „Ich musste wieder gehen lernen, konnte anfangs weder sprechen noch ohne Hilfe essen“, so die Medizinerin. Stets war ihr Mann zur Stelle. Und er ist es heute – 15 Jahre später – noch immer. Ein großes Glück, wie sie weiß: „Es ist eines der schönsten Gefühle, wenn man jemanden hat, der einem in schwierigen Momenten bedingungslos beisteht.“
Fünf wertvolle Tipps für den Umgang mit Krisen von Resilienztrainerin Petra Herout und Coachin Viktoria Schretzmayer:
- Emotionen zulassen und verarbeiten: Lassen Sie alle Gefühle zu, um den emotionalen Druck abzubauen. Fühlen und verarbeiten Sie, was Sie erleben, um zu wachsen und Resilienz zu entwickeln.
- Akzeptanz und Selbstreflexion: Akzeptieren Sie die Situation als Teil Ihres Lebens. Der erste Schritt zur Überwindung einer Krise ist die Anerkennung und Reflexion Ihrer Gedanken und Gefühle, um neue Lebensziele zu formulieren.
- Vision und Zielsetzung: Entwickeln Sie eine klare Vorstellung davon, wo Sie hinmöchten. Definieren Sie Ihre Werte und Ziele, träumen Sie groß und seien Sie ehrlich zu sich selbst, um eine positive Zukunft zu gestalten.
- Professionelle Unterstützung suchen: Ziehen Sie in Betracht, einen Coach/eine Coachin oder einen Therapeuten/eine Therapeutin aufzusuchen, um neue Perspektiven zu gewinnen und Hilfe bei der Bewältigung Ihrer Herausforderungen zu erhalten.
- Positives Umfeld und soziale Unterstützung: Umgeben Sie sich mit Menschen, die Sie unterstützen und motivieren. Ein starkes soziales Netzwerk und der Austausch mit Gleichgesinnten sind entscheidend für Resilienz und die Bewältigung von Krisen.