Aktuelle
Ausgabe:
Frauenkörper
03/25

Vergoldete Narben

Vergoldete Narben
Foto: Stefanie Blochwitz

Mit 16 Jahren überlebte Juliane Klüß (41) einen schweren Unfall. Mit dem symbolischen Vergolden ihrer Verbrennungsnarben fand die Fotografin einen Weg der inneren Heilung.

Es war ein kühler Junitag. Juliane Klüß war alleine zuhause. Weil ihr kalt war, heizte sie den alten, gusseisernen Ofen an. Unglücklicherweise waren die Ventile geschlossen, der Heizkessel explodierte und die damals 16-Jährige erlitt Brüche im Gesicht sowie Schnittwunden und Verbrennungen dritten Grades am ganzen Körper. „Es war ein Riesenglück, dass ich überlebt habe.“ Drei Wochen lag sie im Krankenhaus und kämpfte sich Schritt für Schritt zurück ins Leben.

Besonders ihr rechtes Bein war schwer verletzt. In der Physiotherapie lernte sie langsam wieder zu gehen. In den ersten Jahren nach dem Unfall trug Juliane Klüß sogar im Sommer Rollkragenpullis, um die dünne, neue Haut zu schützen und um sich vor den Blicken anderer abzuschirmen. Sie dachte auch über eine Hauttransplantation nach, verwarf den Gedanken jedoch wieder. Vor allem das Reden half ihr, das Unglück psychisch zu verarbeiten: „Ich dachte, wenn ich das so alltäglich mache wie möglich, hat es nicht mehr diese Bedeutung.“

„Die Tränen flossen, es kam viel in mir hoch.“
Juliane Klüß

Sie machte die Matura, studierte Chemieingenieurwesen, arbeitete neun Jahre im Labor, heiratete und bekam zwei Kinder. Vor sieben Jahren hängte sie ihren Beruf an den Nagel, verwirklichte ihren Traum und wurde Fotografin. So entstand der Gedanke eines Selbstporträts. Juliane Klüß bemalte ihre Narben mit Goldstaub, zog Linie für Linie mit goldener Farbe und Pinselstrichen nach und ließ sich bei diesem Prozess von ihrer Freundin, der Fotografin Stefanie Blochwitz, fotografieren. „Die Tränen flossen, es kam viel in mir hoch“, erinnert sie sich. Heute ist sie überzeugt, dass diese intensive Erfahrung für die Aufarbeitung ihres Traumas heilsam war.

Mit ihrem Projekt „Golden Scars“ möchte sie auch anderen die Gelegenheit geben, ihre Brandmale oder Operationsnarben zu vergolden und sich wieder als schön und wertvoll zu erleben. Vor dem Fototermin gibt es stets ein Vorgespräch. Juliane Klüß hat in ihrem Fotostudio in Rostock schon viele verschiedene Frauen mit ihren Wundmalen fotografiert – Narben nach einer Brust-Operation, nach einem Kaiserschnitt, Verbrennungsnarben oder Schwangerschaftsstreifen. Manche Frauen kommen mit einer Freundin und verbinden den Fototermin mit einem Kurzurlaub an der Ostsee: „Sie machen das auch zum gemeinsamen Erlebnis, als Selbsterfahrung zu zweit“, erzählt Juliane Klüß. „Eine Brustkrebs-Patientin, die ich fotografierte, befand sich mitten in der Chemo. Sie sagte, sie brauche dieses Gefühl: Ich bin schön, ich bin wertvoll, es wird alles gut, gerade jetzt. Und die Bilder bestärken sie darin.“

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 12.03.2025
  • Drucken