Bislang war der Darm ein unterschätztes Organ. Seit aber Medizin und Forschung seine außergewöhnlichen Fähigkeiten erkennen, erfährt er eine gesellschaftliche Aufwertung. So soll er nicht nur der Schlüssel zur Gesundheit sein, sondern auch Meister über unsere Gefühle.
Die meisten Menschen kennen ähnliche Situationen: Der Besprechungsraum ist voll, gleich muss man einen Vortrag halten. Die Anspannung wächst. Zig Gedanken schwirren durch den Kopf. Bin ich gut vorbereitet? Wird alles klappen? Der Puls steigt, das Herz klopft wie wild, und nun macht sich auch noch der Bauch bemerkbar. Er grummelt, zieht, rumort und signalisiert nur noch eines: so schnell wie möglich auf die Toilette!
Bei Nervosität reagieren viele Menschen mit Bauchschmerzen oder gar Durchfall. Doch nicht nur bei Stress meldet sich der Bauch, auch bei Entscheidungen. Job annehmen oder lieber nicht? Den Chilieintopf essen oder doch den Kartoffelauflauf? Hat der Darm Bedenken, meldet er Signale an die Schaltzentrale im Kopf: „Ich habe kein gutes Gefühl bei dem Jobangebot.“ Oder: „Weißt du noch, was beim letzten scharfen Essen passiert ist?“ Das Gehirn überlegt nochmals und lässt gespeicherte Emotionen mit einfließen. Das Resultat dieses Prozesses nennt der Mensch „Bauchentscheidung“ oder „Bauchgefühl“. Denn eines steht auch wissenschaftlich fest: Gehirn, Magen und Darm kommunizieren miteinander.
Der Darm: Das Zentrum der Gefühle
Viele Jahre galten Darm und Verdauung als Tabuthema. Wurde darüber geredet, dann nur unter peinlichem Gekicher, eher blieb es bei betretenem Schweigen. Die Aufgabe des Darms, so dachten die meisten, sei ja jedem bekannt, und was am Schluss rauskomme, das sowieso. Ende der Geschichte. „Lange Zeit führte der Darm daher ein Schattendasein, der Boss war das Gehirn. Weil es über Nerven mit Organen und Muskeln verbunden ist, durfte es sagen, wo es langgeht“, sagt Adrian Schulte, Facharzt für Allgemeinmedizin und Autor des Buches „Alles Scheiße!? Wenn der Darm zum Problem wird“.
In den 1970er-Jahren wurde diese These aber neu aufgerollt, als der deutsche Arzt Leopold Auerbach entdeckte, was man das „Bauchhirn“ nennen könnte. Beim Mikroskopieren eines Stückes Darm fand er ein zwischen Muskelschichten eingebettetes, dichtes Geflecht aus 100 Millionen Nervenzellen – mehr, als das Rückenmark beherbergt. Damit war erwiesen: Der Darm ist das größte Nervensystem im Körper außerhalb des Gehirns.
Das größte Nervensystem im Körper
„Wäre der Darm nur dafür zuständig, Nahrung zu transportieren und uns von Zeit zu Zeit zum Rülpsen zu bringen, wäre ein so ausgetüfteltes Nervensystem eine seltsame Energieverschwendung“, schreibt die 24-jährige deutsche Medizinstudentin Giulia Enders in ihrem Buch „Darm mit Charme“. Es muss also mehr dahinterstecken. „Der Bauch hat großen Einfluss darauf, wie es dem Menschen ganzheitlich geht“, sagt auch die Personal-Wellness-Trainerin Christa Pühringer.
Was die Forschung immer mehr entdeckt, weiß der Mensch unterbewusst aber schon lange. „Mit Alltagsredewendungen drücken wir es bereits aus. Oft meinen wir: ‚Mir liegt etwas schwer im Magen‘, ‚Ich habe es satt‘ oder ‚Ich habe Schmetterlinge im Bauch‘, ‚Ich entscheide aus dem Bauch heraus‘ oder ‚Ich mache mir vor Angst in die Hosen‘“, sagt Maria Michalski, Ärztin für psychosoziale und psychosomatische Medizin. Mithilfe von Hormonen, Bakterien und Botenstoffen kommuniziert der Darm mit dem Gehirn und schickt ständig Informationen über den sogenannten „Vagusnerv“ aus der „unteren Welt“ nach oben zur Kopfzentrale.
Den ganzen Artikel können Sie in der Jänner-Ausgabe aus dem Jahr 2017 nachlesen. HIER können Sie das Einzelheft nachbestellen.
„Der Darm beeinflusst unser Verhalten“
Bei seinen Forschungen beschäftigte sich Universitätsprofessor Peter Holzer mit der Frage, wie Darm und Gehirn miteinander kommunizieren.

Peter Holzer, Universitätsprofessor für experimentelle Neurogastroenterologie an der Medizinischen Universität Graz. © Sigrid Querch
Was bedeutet die Darm-Gehirn-Achse?
Peter Holzer: Der Verdauungstrakt und das Gehirn tauschen ständig eine Unzahl von Informationen aus, die in beiden Richtungen durch die sogenannte „Darm-Gehirn-Achse“ übertragen werden. Das passiert über vier verschiedene Informationskanäle: Darmhormone, Immunbotenstoffe, sensorische Neuronen und Signale des Darm-Mikrobioms. Über diese Kommunikationsbahnen beeinflusst der Magen-Darm-Trakt nicht nur Hunger und Appetit, sondern kann auch Übelkeit und Schmerz hervorrufen sowie Stimmungslage, Emotionen, kognitive Prozesse und Stressanfälligkeit modulieren. Darmhormone beeinflussen unser Verhalten.
Was ist das Mikrobiom?
Die Gesamtheit aller den Menschen besiedelnden Mikroorganismen, die zum Großteil Bakterien sind und in besonders großer Zahl im Dickdarm vorkommen. Diese Mikroben stellen ein riesiges Ökosystem dar, dessen Bedeutung für Gesundheit und Krankheit erst allmählich ins Bewusstsein rückt. Ein Ungleichgewicht wirkt sich nicht nur auf die Verdauung, sondern auf den gesamten Organismus aus, speziell auf das Immunsystem und das Gehirn. Es zeigt sich, dass eine Reihe von Krankheiten, insbesondere Übergewicht und Diabetes, mit einer Störung des Mikrobioms zusammenhängt. Auch Autoimmunerkrankungen und neuropsychiatrische Krankheiten wie etwa Autismus, Depressionen, Stressanfälligkeit und Demenz können ihre Ursachen im Magen-Darm-Trakt haben.
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Das Bakteriengleichgewicht halten
Georg Spaun behandelt täglich Darmerkrankungen und weiß, warum diese immer häufiger werden.

Georg Spaun ist Leiter des Endoskopie-Zentrums im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz. © BHS Linz/Werner Harrer
Welche Risikofaktoren für Darmerkrankungen gibt es?
Georg Spaun: Bei jeder dritten Darmspiegelung stellen wir Darmpolypen, also Schleimhautwucherungen, fest. Diese können entarten und stellen somit das höchste Risiko für Darmkrebs dar. Neben genetischen Faktoren spielt natürlich auch die Ernährung eine Rolle. Eine hohe Kalorienzufuhr sowie eine Fleisch- und fettreiche Ernährung mit wenigen Ballaststoffen erhöht die Gefahr, an Darmkrebs zu erkranken. Rotes Fleisch erhöht das Risiko um 50 Prozent.
Viele Menschen haben Divertikel. Was ist das?
Divertikel sind fingerartige Ausstülpungen der Darmwand. Die Schleimhaut wird herausgedrückt wie eine Seifenblase, Stuhlreste können sich dort verfangen, hart werden und zu Stuhlsteinen werden. Keime dringen in die Schwachstelle der Darmwand ein und reizen sie. Bei einer Entzündung spricht man von einer Divertikulitis, die behandelt gehört. Die Bauchschmerzen sind dabei meist linksseitig. Ein Drittel der über 40-Jährigen haben Divertikel, bei den über 85-Jährigen bereits zwei Drittel.
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„Die PatientInnen werden jünger“
Seit über 20 Jahren behandelt Adrian Schulte die Folgen falscher Essgewohnheiten.

Adrian Schulte ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Naturheilverfahren und führt das auf Darmsanierung spezialisierte „F.X. Mayr Zentrum Bodensee“ in Überlingen. © privat
Wie stellt man fest, ob der Darm gesund ist oder nicht?
Adrian Schulte: Mindestens ein Drittel der Bevölkerung weiß es, weil es unter Verstopfung, Reizdarm, einer entzündlichen Darmerkrankung, Divertikeln oder Darmkrebs leidet. Ansonsten geben stark riechende Stühle und eine übermäßige Gasproduktion einen Hinweis darauf, dass etwas nicht stimmt.
Wie sieht ein gesunder Stuhl aus?
Der gesunde Stuhl ist geformt, in hellen bis dunklen Brauntönen, relativ geruchlos. Geringer Toilettenpapierverbrauch ist ein super Indikator für die Gesundheit des Dickdarms. Dieser überzieht normalerweise die Kotsäule mit einer Schleimschicht, die verhindert, dass der After verschmutzt wird.
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Buchtipps:
Giulia Enders: Darm mit Charme. / Ullstein Verlag / 17,50 Euro
Margarethe Fließer/ Karin Zausnig: Bauch gut. Alles gut. / Freya Verlag / 21,90 Euro
Adrian Schulte: Alles Scheiße!? Wenn der Bauch zum Problem wird. / Scorpio Verlag / 18,50 Euro
Michaela Axt-Gadermann: Schlau mit Darm. / Südwest Verlag / 17,50 Euro
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