Microdosing wird als stimmungsaufhellende Alltagsdroge vermarktet, dabei ist das medizinische Potenzial tatsächlich enorm groß. Ein Gespräch über die Gefahren und Chancen.
Was halten Sie von dem Trend zum Microdosing?
Von den Angeboten im Internet würde ich die Hände lassen, weil man nicht weiß, was genau man da bekommt und in welcher Dosis. Wir PsychiaterInnen interessieren uns dagegen vor allem für die medizinische und therapeutische Verwendung. Besonders gut könnte das Microdosing von Psychedelika gegen Alkoholabhängigkeit oder als Schmerzmittel wirken. Und letzteres wäre höchst relevant, weil die vorhandenen Schmerzmittel bei vielen Krankheiten nicht ausreichen. Menschen mit chronischem Schmerz, der sich nicht beherrschen lässt, leiden furchtbar. Microdosing könnte ihren Schmerz reduzieren oder sogar komplett beseitigen. Da werden wir in Studienergebnissen hoffentlich bald eindeutig sehen, ob Microdosing der Placebo-Kontrolle überlegen ist.
Für die Alkoholabhängigkeit könnte das Ergebnis ähnlich ausfallen: Wird die Häufigkeit und Intensität der Rückfälle deutlich weniger oder bleiben sie sogar komplett aus? In den klinischen Studien werden Betroffene meist maximal sechs Monate lang beobachtet. Aber wenn jemand mit einer chronischen Alkoholsucht auch nur sechs Monate abstinent bleibt, wäre das schon ein riesiger Gewinn. Die Wirkung von Microdosing auf die Posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) ist deutlich schwieriger zu untersuchen.
Welche Gefahren gibt es beim Experimentieren auf eigene Faust?
Bei allen psychoaktiven Substanzen kann es zu einem Kontrollverlust kommen. Wie Psychedelika wirken, hängt vor allem von der Persönlichkeitsstruktur ab. Wer zu Paranoia und Ängsten neigt, könnte auch psychotische Phänomene entwickeln. Es kann zu akustischen oder optischen Reizüberflutungen und auch zu dissoziativen Zuständen führen: Man steht neben sich und betrachtet sich selbst wie von außen. Andere Menschen haben keinerlei negative Nebenwirkungen. Wichtig ist die Aufklärung: Wenn man – wie in den seriösen Studien – vorher erklärt, was alles passieren kann, hilft das sehr.
„Bereits wenige Dosierungen könnten zu einer deutlichen Verbesserung führen.“
Wie wirken Psychedelika in Microdosis?
Psychedelika gehören zu den psychoaktiven Substanzen. Auch Ketamin, das mittlerweile erfolgreich gegen Depression eingesetzt wird, wirkt psychoaktiv, aber nicht psychedelisch. Ketamin wird langfristig zur Erhaltungstherapie eingesetzt. Microdosing wird dagegen typischerweise nicht lange verabreicht. Bereits wenige Dosierungen könnten zu einer deutlichen Verbesserung führen. Es ist besonders wichtig, dass Forschungsgruppen mit einem standardisierten Design arbeiten, damit das Thema aus dieser „Schmuddelecke“ herauskommt. Wenn wir sehen, dass es gegen Sucht oder Schmerz wirkt, würde das sehr vielen Menschen immens helfen. Auch das ist ein Grund, die Forschung zu erleichtern und zu unterstützen.
Was muss passieren?
Es wird bereits viel geforscht und es sieht so aus, als ob wir innerhalb weniger Monate mit seriösen Ergebnissen rechnen können. Wir müssen bedenken: Das Gehirn ist ein sehr komplexes Organ und schwierig zu erforschen. Dazu kommt noch das Problem der internationalen Klassifikation von Psychedelika: In Österreich können wir gegenwärtig nicht damit forschen, weil sie illegal sind und wir jemanden finden müssten, der das für uns importiert. Dabei wären das Potenzial und der Bedarf groß.
In der Psychiatrie ist schon sehr lange nichts Revolutionäres in der medikamentösen Therapie passiert. Wir haben keine effektive Medikation gegen Alkoholabhängigkeit und da geht es um sehr viele Betroffene: In Österreich haben etwa 15 Prozent ein Alkoholproblem. Die Medikationsforschung konzentriert sich speziell auf Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Die aktuellste Innovation im Bereich der psychiatrischen Erkrankungen ist ein Amphetaminprodukt gegen ADHS, eine psychoaktive Substanz, die aber schon seit 10 Jahren am Markt verfügbar ist. Das letzte neu entdeckte Antidepressivum liegt auch schon 15 Jahre zurück.
Die Industrie hat zum Beispiel Millionen und Abermillionen in die Demenzforschung investiert und es ist bislang wenig Effektives herausgekommen. Demensprechend vorsichtig sind die Firmen mit ihren Investitionen in die Erforschung neuer Medikamente. Es sind seit langem keine neuen Moleküle mehr auf den Markt gekommen, deshalb versucht man sich jetzt zu erinnern, was man schon kennt. Und das wären auch die Psychedelika.

Zur Person
Gabriele Fischer ist Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie sowie eine international renommierte Suchtexpertin. Sie forscht an der MedUni Wien, außerdem ist sie Menschenrechtsexpertin und berät die UNO sowie die Weltgesundheitsorganisation WHO. Sie ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Europäischen Drogenagentur EUDA.