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03/24

Meine wunderbare Tochter Hanna

Meine wunderbare Tochter Hanna

„Welt der Frauen“-Leserin Berit Illich-Gugler (49) aus Amstetten ist Ernährungswissenschaftlerin und arbeitet als Projektleiterin beim „Netzwerk Familie“. Sie hatte bereits einen kleinen Sohn, als sie vor 24 Jahren erneut schwanger wurde. In ihrer Vorstellung stellte sie sich eine wunderbare Tochter vor. Und sie bekam eine! „Leider begrüßt unter Tränen“, was ihr heute unendlich leid tut, denn ihre Tochter Hanna (23) wurde völlig unvorhergesehen mit dem Down-Syndrom geboren. Doch wie wirkt sich diese Behinderung auf ihre Beziehung aus? Wir fragten erst bei der Mutter nach und baten anschließend die Tochter zum Gespräch.

„Meine Tochter Hanna macht die Welt freundlicher, lebendiger und vielfältiger. Sie spricht, wie ihr der Schnabel gewachsen ist, bringt die Menschen in ihrem Umfeld zum Lächeln, spürt intuitiv, wenn es jemanden nicht gut geht und drückt ihre Zuneigung offen aus. Am meisten gefällt mir ihre Eigensinnigkeit, auch wenn sie mich damit oft an die Grenzen bringt. Sie absolviert eine Ausbildung zur Verkaufsassistentin in Wien bei WINS, einem Verein für Inklusion von Menschen mit kognitiver Behinderung. Dafür pendelt sie jeden Tag selbstständig mit der Bahn von Amstetten nach Wien. Außerdem engagiert sie sich gerade bei einem inklusiven Journalismus-Projekt. Seit sechs Jahren hat sie einen Freund. Auch er hat Trisomie 21.“
Berit Illich-Gugler

Wie Hanna Gugler die Welt betrachtet, erfuhren wir im Interview mit ihr persönlich: 

Hanna Gugler: „Es muss wieder mehr g‘schmust werden!“

Hanna, deine Mama hat mir erzählt, dass du mit einem Loch im Herzen zur Welt kamst und schon als Baby notoperiert werden musste. Dein geflicktes Herz scheint aber ein starkes zu sein – und ein liebendes. Was lässt es höher schlagen?
Mein Freund Matthias. Er ist 24 Jahre alt. Wir haben uns schon als Kinder im Ambulatorium kennengelernt, denn er hat auch dieselbe Schwäche wie ich. Beim Rechnen braucht er ganz viel Zeit und auch sonst ist er ein Kasperl. Genau deshalb habe ich mich in ihn verliebt. Matthias ist so romantisch und sexy. Er schreibt mir berührende Liebesbriefe! Darin steht: „Ich vermisse dich“, „Ich liebe dich“, „Du bist so süß und fesch, mein Augenstern!“

Vor sechs Jahren wurde ein Paar aus euch. Wie wusstest du, dass es Liebe ist?
Na, das hab ich g‘spürt! Moment kurz. (Sie legt ihr Handy zur Seite und zischelt) … Bin schon wieder da! Schöne Grüße von meiner Mutter. Die nervt gerade! Das tut sie immer wieder …

Hanna Gugler und Berit Illich-Gugler

Das ist halt so zwischen Müttern und Töchtern.
(Lacht) Sowieso! Also zurück zu meinem Schatzerl und dem Beginn unserer Liebe. Matthias‘ Lieblingswort ist Birne. So nennt er auch mich. Was sich liebt, das neckt sich … Übrigens mache ich gerade Nudelsalat. Ich fahre nämlich heute noch nach Wien zu einer Feier. Da nehme ich ihn mit.

Worauf wird denn angestoßen?
Auf den Start des integrativen Journalismus-Projekts „andererseits“ von Claudia Porak. Sie ist Studentin und hat einen Bruder mit Down-Syndrom. Bei diesem Projekt dürfen nur Menschen Texte schreiben, die eine Behinderung haben. Wer gewinnt, bekommt 1.000 Euro! Ich habe eine wahre Liebesgeschichte über meinen Freund geschrieben. Mein Schatzerl ist nämlich ziemlich kompliziert. Er möchte dauernd weglaufen von meiner Liebe. Das mag ich überhaupt nicht. Er behauptet auch, dass ich ihn nimmer lieb hab. Aber ich lieb‘ ihn trotzdem. Nur manchmal habe ich halt so viele Termine und wenig Zeit für ihn. Zum Glück habe ich am Freitag wieder frei.

Matthias wohnt, so wie du, im Elternhaus. Jetzt in der Corona-Zeit dürft ihr euch nicht sehen. Wie haltet ihr da Kontakt?
Wir skypen, aber das ist uns zu wenig. Wir wollen uns wieder küssen und streicheln, uns umarmen und miteinander kuscheln. Leider geht das nicht, weil es immer heißt: Abstand halten! Das macht mich zornig und grantig und wild! Der Bundeskanzler soll endlich schauen, dass dieses Scheiß-Corona-Virus weg ist, damit i endlich wieder schmusen kann‘! Das brauch‘ i – und dem Rest der Welt würd’s auch gut tun. Bald wollen mein Schatzerl und ich auch Sex haben, aber noch tun wir nur so, weil die Mama noch nicht Oma spielen will. Kondome habe ich schon gekauft, damit keine Babys kommen. Selbst ist die Frau!

Was tust du, wenn du in Kuschelstimmung kommst? Wen umarmst du dann?
Mama und Papa. Sie sind meine Knuddel-Bären und der Ersatz für mein Schatzerl. Eines Tages, wenn ich 30 oder 40 Jahre alt bin, werden Matthias und ich zusammen ziehen und heiraten. Mein Schwiegervater, der Wolfgang, ist Diakon und soll uns segnen. Und meine Freundinnen Pia und Anna sollen meine Brautjungfern sein und in der Kirche Musik machen. Pia spielt Cello, Anna Bratsche und Geige. Ich spiele Klavier und Gitarre. Ich habe sogar schon ein Liebeslied getextet, mit meiner Gesangslehrerin vertont und auf YouTube gestellt. Aber am liebsten gehe ich shoppen. Ich liebe sexy Klamotten.

Deine Mama sagt, dass sie diesbezüglich „viel schlucken“ muss, weil du „die Gefahren, die aufreizende Miniröcke und tiefdekolletierte Tops mit sich bringen“, nicht einschätzen kannst. Deshalb komme es oft zu Diskussionen zwischen euch. Was sind deine Argumente?
Dass ich mir mit meinem Geld kaufen kann, was ich will. Es ist mein Modegeschmack, mein Leben. Sehr gerne trage ich ja auch Karo-Blusen. Auch da streikt Mama immer wieder. Am Ende setzt sie sich durch. Aber meine sexy Klamotten ziehe ich trotzdem an. Ich bin sexy wie ein Top-Model.

Auch das Thema „Make-up“ hat Konfliktpotenzial. Du schminkst dich gerne stark und auffällig.
Ich liebe rosa, grüne und schwarze Lidschatten. Aber die Mama sagt, ich schaue aus wie ein Clown. Wahrscheinlich ist sie nur neidisch. Sie will, dass ich Cremen gegen meine rauen Hautstellen verwende. Aber die schmiere ich mir sicher nicht ins Gesicht! Da bin ich stur, voll stur!

Hanna und ihre Freundin

Im Herbst beendest du deine Ausbildung als Verkaufsassistentin. Wo möchtest du danach arbeiten?
In einem Lebensmittelgeschäft. Praktika in einem Supermarkt und in einer Bäckerei habe ich schon gemacht. Außerdem verdiene ich Geld mit Freundschaftsarmbändern, die ich täglich knüpfe und für einen Euro im Minihofladen verkaufe. 332 Stück habe ich schon gefertigt. Das Geld, das ich dafür bekomme, sammle ich in meiner roten Sparbüchse. Momentan sind 235 Euro darin. Manchmal geht aber die Mama heimlich in mein Zimmer und leiht sich Geld aus. Ich beobachte meine Mutter ganz genau und zähle jeden Cent, damit ich weiß, was fehlt. Seit kurzem habe ich auch eine Bankomatkarte. Aber da weiß ich nie, wie viel Geld noch am Konto ist. Oft gehe ich shoppen und bin pleite.

Was tust du dann?
Dann rufe ich Mama an und sage ihr, dass sie mir was überweisen oder mir Bares geben soll. Dann kracht‘s wieder und ich muss zur Strafe die Hunde füttern. Aber am schlimmsten ist, wenn Mama mit ihren Freundinnen heimlich Party macht und mir nichts davon sagt. Dann komme ich nachhause und darf den Dreck wegräumen. Aber gut, ich mache auch Partys in meinem Zimmer. Saufpartys mit Mineralwasser!

Hanna und ihre FreundinnenHanna Gugler mit ihren Freundinnen Anna (21) und Pia (18). Mit den beiden Schwestern ist sie seit der Kindheit befreundet. In ihrer Freizeit liest und reitet Hanna gerne und schaut die Fernsehserie „Der Sattelclub“ oder die DVD „Leben im All“: „Mir gefällt das Universum, denn dort fühlt es sich friedlich und ruhig an.“

Später möchte Hanna auch Mutter werden. Ob sie Angst hat, dass ihr Kind mit einer Behinderung geboren werden könnte? „Überhaupt nicht. Das ist mir ganz egal“, sagt sie.

Petra KlikovitsPetra Klikovits

In ihrer monatlichen Online-Kolumne „Meine wunderbare Tochter“ führt Petra Klikovits bewegende Gespräche mit Töchtern, Schwiegertöchtern, Enkeltöchtern, Stieftöchtern, Adoptivtöchtern, Pflegetöchtern, Patchwork-Töchtern und anderen Bonustöchtern von Leserinnen, die auf diese via [email protected] aufmerksam machen. Mehr von Petra Klikovits lesen Sie jeden Monat in Welt der Frauen.

Fotos: privat

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  • Veröffentlicht: 05.07.2020
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