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Wie sticken Sie Insekten, Frau Hochmayr-Neumann?

Wie sticken Sie Insekten, Frau Hochmayr-Neumann?
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  • Veröffentlicht: 26.10.2025
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Dagmar Hochmayr-Neumanns Stickereien sind Kunstwerke, die für Entschleunigung und unendliche Wertschätzung der Natur stehen. Mit ihren Nadeln fängt die Künstlerin die Schönheit von Insekten ein.

Ein Schwarm Stare steigt, in einer anmutigen Formation Schleifen ziehend, auf. Florfliegen bilden eine zarte Mondsichel. Vielfach vergrößerte Schnaken, relativ große Zweiflügler aus der Familie der Mücken, wirken mit ihren langen, dünnen Beinen mindestens so filigran wie das Original in der Natur. Eine Schafgarbe offenbart unter der Lupe der Künstlerin in der Perfektion der Darstellung interessante Details und große Schönheit. Von der Decke baumelnd bewegen sich ein paar zarte Flügelchen synchron im Luftzug. Die Stickereiarbeiten in Dagmar Hochmayr-Neumanns Atelier in Scharten im Eferdinger Becken hinterlassen bleibende Eindrücke.

Die Künstlerin habe ihre Passion, wie sie selbst sagt, im Sticken gefunden, dem sie sich seit der Coronapandemie tagtäglich drei, vier Stunden widmet. Ein bis drei Monate nimmt eines ihrer Kunstwerke in Anspruch. Manches hat sie zwei-, dreimal versucht, ehe es ihren hohen Ansprüchen gerecht geworden ist, selten ist sie an einem Wesen, das sie auf ihre Weise festhalten wollte, gescheitert. Korrekturen sind nur schwer möglich, das Auftrennen funktioniert nicht gut. Hochmayr-Neumann kann höchstens drübersticken oder den Faden ein Stückchen wieder herausziehen.

„Ich mag das Unaufgeregte, die Tiere und Pflanzen, die man leicht übersieht – und alles, was fliegt.“
Dagmar Hochmayr-Neumann

Als Motive interessieren sie „ausschließlich Tiere und Pflanzen“, vor allem solche, die der Großteil der Menschheit nicht im Fokus hat. „Ich mag das Unaufgeregte, die Tiere und Pflanzen, die man leicht übersieht – und alles, was fliegt“, sagt sie mit sichtbarer Begeisterung. So sammelt sie etwa Wissen über Feuerwanzen, die in ihrem Freundeskreis mittlerweile „Dagmar-Käfer“ genannt werden, studiert die Tiere intensiv und stickt sie schließlich so exakt nach, dass man sich mithin schwertut, sie in ihrer Detailtreue von der lebenden Vorlage zu unterscheiden.

Skizziert mit Nadel und Faden

Dafür hat die Künstlerin eine eigene Technik, ihre eigene Handschrift entwickelt, die sie „Nadelskizze“ nennt. Auf kaum sichtbarem, feinem Tüll „zeichnet“ sie mit Nadel und Faden Darstellungen, die vielleicht skizzenhaft wirken und etwas Flüchtiges zu haben scheinen, an denen tatsächlich aber nichts spontan ist. Fadenenden, die die Künstlerin am Ende hängen lässt und die sich leicht im Wind bewegen, verstärken das Bild. So entsteht der Eindruck von Dreidimensionalität, Schatten, Tiefe und Bewegung.

Oft ziehe sie auch ein „spannender Name“ wie Düsterkäfer an, sagt Hochmayr-Neumann und erzählt im nächsten Moment sogleich, was der so alles kann: Er sei wichtig für das Altholz, lebe im Mulm hohler Bäume und ernähre sich von Pilzen oder verpilztem Holz. Durch seine Ausscheidungen fördere er die weitere Zersetzung des Holzes und so die Bildung von wertvollem Humus. Altholz ist gerade bei Trockenheit wichtig für den Wald, da es viel Feuchtigkeit spenden kann.

Verborgene Schönheiten

Bei einer anderen Technik, die sie für einzelne Schmetterlinge, Käfer und Wanzen anwendet, stickt Hochmayr-Neumann Fäden eng aneinander auf einen Stoff. Diese füllen dann wie eine Schraffur eine Fläche aus, wodurch Körperlichkeit entsteht. Schattierungen gelingen durch dichteres und weniger dichtes Sticken. Je nach Motiv geschieht das oft in unzähligen farblichen Abstufungen, wie anhand von Schmetterlingen zu sehen ist, die sich in einer kleinen Schachtel „tummeln“.

Selbst gemeinhin verpönte Tierchen wie Motten oder Wanzen offenbaren sich unter der Nadel der Künstlerin als ungeahnt schön. „Ästhetik ist mir extrem wichtig, es gibt viele verborgene Schönheiten und eine unglaubliche Vielfalt.“ Eine grüne Wanze entsteht in einer, ein Falter in fünf bis sechs Stunden. Außergewöhnlich sind auch „Flugobjekte“ wie Holzbienen, Flaschenfliegen und Käfer in Goldstickerei. Dafür werden winzige Golddrahtstückchen passend zugeschnitten und behutsam in Feinstarbeit aneinandergefügt.

Liebe zur Natur

Mit ihrer Kunst drückt Hochmayr-Neumann ihre Wertschätzung für die Natur aus. Sie will die Betrachter:innen dazu motivieren, sich für die Umwelt zu interessieren und vor allem besser mit ihr umzugehen – eine „Aufmerksamkeit, die jedem Lebewesen und jeder Pflanze zusteht“, wie sie betont. „Der Ökologiegedanke ist immer dabei. Ich bin erschrocken von all dem, was um uns herum gerade passiert, wie etwa der Verlust der Biodiversität. Man hat das Gefühl, viele kümmert das nicht.“

Ihre Liebe zur Natur sei auch der Grund dafür gewesen, mit ihrem Mann nach Scharten in der Nähe von Eferding zu ziehen. Ein Stückchen Erde, an dem die Natur all ihre Pracht und Fruchtbarkeit entfaltet. Durch große Glasflächen scheint das Grün von draußen schier ins Haus zu drängen. Bereits in den frühen Morgenstunden ist Hochmayr-Neumann draußen unterwegs, um Kraft zu tanken, und findet Inspiration. „Die tägliche Begegnung mit der Natur und genaues Hinsehen sind mir wichtig.“

„Es gibt keine langsamere Kunst“

Es geht ihr aber nicht nur um einen wertschätzenden Umgang mit der Natur, sondern auch darum, in einer schnelllebigen Zeit einen Kontrapunkt zu setzen. Ihre Stickerei stehe im Zeichen der Entschleunigung und habe für sie etwas Meditatives, wie Hochmayr-Neumann sagt. In dieser Kunstform könne sie völlig frei agieren, so, wie sie möchte. Sie verkauft ihre Stickereien nicht, denn auch das würde Einfluss von außen bedeuten. Abgesehen davon kann sie sich ohnehin nur schwer von ihren Werken trennen. „Diese Slow Art, wie ich es nenne – es gibt wohl keine langsamere Kunst –, ist zu 100 Prozent meins.“ Eigentlich sei sie ein sehr ungeduldiger Mensch: „Aber beim Sticken kann ich große Geduld aufbringen, das zeigt auch die Bedeutung, die es für mich hat. Die Mühe und Ausdauer, die ich dafür aufwende, haben große Kraft.“

Zur Person:

Dagmar Hochmayr-Neumann (49) stammt aus Rutzenmoos im Salzkammergut (OÖ). Schon als Kind habe sie gern gestickt, damals sei Kreuzstich nach Vorlage sehr beliebt gewesen. „Meine drei Schwestern und ich haben Pölster, Wickeltücher und vieles mehr bunt verziert“, erzählt die Künstlerin. Nach der Modeschule in Ebensee studierte sie an der Linzer Kunstuniversität die Studienrichtung „Textil“.

Dem Sticken widmete sie auch ihre Abschlussarbeit. Seit 2003 ist Hochmayr-Neumann für die Vorarlberger Textilfirma Hoferhecht tätig und kreiert als Chefdesignerin Stoffe, die sich auf den Laufstegen großer Couturiers wie Dior, Armani oder Akris wiederfinden. Auch die österreichische Designerin Michel Mayer greift gern auf ihre Entwürfe zurück – ebenso wie die Damen der Gesellschaft in Nigeria: Die prachtvoll-bunte Musterware für deren Kleider ist ein wichtiger Teil von Hoferhecht.

Melanie Wagenhofer

Chefredakteurin Print und Podcast

Ein Nachrichtenjunkie vertieft sich: Nach vielen Jahren im Tagesgeschäft liebt Melanie Wagenhofer es, sich ausführlich mit dem, was Frauen bewegt, zu beschäftigen und darüber zu schreiben – vorzugsweise, wenn es dabei um Zeitgeschichte, Kultur, Reisen, Kulinarik und besondere Menschen geht. Die gebürtige Mühlviertlerin hat Deutsch und Geschichte studiert und mehrere Bücher geschrieben.

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Foto: Barbara Aichinger


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