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01/02/25

Heilendes Reisen?

Heilendes Reisen?
Foto: Luca Putzer

In einer immer hektischeren Welt suchen viele Menschen nach mehr als nur Erholung – sie suchen Heilung. Healing Travel ist ein wachsender Trend, der es Reisenden ermöglichen soll, Körper und Geist durch gezielte, ganzheitliche Erfahrungen zu regenerieren. Aber was steckt dahinter?

Die Stille der Eingangshalle des Sensoria Dolomites in Südtirol ist vereinnahmend. Die großen Glasflächen geben den Blick auf den Berg Schlern in den Dolomiten frei, der direkt vor den Fenstern emporragt. Die MitarbeiterInnen – von Hotelchefin Lea Oberhofer „Soulmates“ genannt – meinen beim Begrüßungsgetränk: „Wir sind alle auf Urlaub hier. Wir tragen nur diese beigen Schürzen und ihr nicht.“ Es wirkt, als würden sie ihren Job gerne machen. Sie sind augenscheinlich entspannt, schäkern, plaudern, lesen die Stimmung der Gäste. Schon nach den ersten Momenten bekomme ich das Gefühl, durchatmen zu können. Nicht nur oberflächlich, nicht nur flach. Sondern bis in den Bauch hinunter. Healing Travel ist das neue, spektakulär klingende Reisekonzept, mit dem weltweit geworben wird. Auch das Sensoria Dolomites schreibt sich diesen Slogan auf die Fahnen.

Der Trend

Aber worum geht es bei dem neuen Trend? Healing Travel ist ein Reiseansatz, der das Wohlbefinden von Körper, Geist und Seele in den Mittelpunkt stellt. Ziel ist es, durch bewusst gestaltete Reisen Stress abzubauen, innere Ruhe zu finden und sich emotional oder körperlich zu regenerieren. Und das in wunderschöner Umgebung, während man neue Erfahrungen macht. Häufig integrieren die Anbieter Elemente wie Meditation, Yoga, Wellness oder Naturerlebnisse. Obwohl viele bei diesem Trend an Südostasien, Bali oder Indien denken, gibt es auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Hotels, die auf dieses Konzept setzen. Eine stundenlange Flugreise ist also nicht unbedingt notwendig. Gerade bei einem 14-stündigen Heimflug ist die Erholung oft schon dahin, bevor man zuhause ankommt – vom Aspekt der Nachhaltigkeit ganz zu schweigen.

Anders als der Name Healing Travel glauben lässt, geht es nicht wirklich um die Heilung von Krankheiten, Knochen oder Traumata. Es geht um Heilung in Bezug auf den Lifestyle. Doch was ist der große Unterschied zu einem Wellnessresort? Er liegt in den Feinheiten, im Gefühl, in den Erlebnissen – so die Theorie. Bei Healing Travel wird auf einen ganzheitlichen Ansatz gesetzt: Es geht nicht nur um Entspannung, sondern auch um Achtsamkeit, Reflexion und manchmal auch persönliche Transformation. Und diese soll schon mit kleinen Aufmerksamkeiten beginnen.

Foto: © Sensoria Dolomites
„Meine Mutter hat immer gesagt, der Gast soll das Hotel glücklicher und entspannter verlassen, als er gekommen ist.“
Lea Oberhofer

Ganzheitlicher Ansatz

Das bestätigt auch Lea Oberhofer, die das Hotel von ihren Eltern übernommen und komplett umgebaut hat. Auf dem Nachttisch im Zimmer liegt ein kleines Tagebuch mit vielen leeren Seiten und einem Stift – bereit zur Reflexion. Kleine Impulse wie dieser sollen die Reiseart von Wellness unterscheiden. Lea Oberhofer setzt den Weg ihrer Eltern fort. Schon damals setzten sie auf einen ganzheitlichen Ansatz: „Meine Mutter hat immer gesagt, der Gast soll das Hotel glücklicher und entspannter verlassen, als er gekommen ist. Dafür braucht es einen ganzheitlichen Ansatz.“ 47 Zimmer hat das Hotel seit dem Umbau 2022 – außerdem einen Sportraum, einen Sauna- und Poolbereich sowie das japanisch inspirierte Badehaus, das Teil des einzigartigen Healing-Spa-Konzepts ist. Jeden Tag werden Aktivitäten angeboten: von Stretching über Schneeschuhwanderungen bis hin zu Neumondwünschen. Außerdem wird mit einem All-Inclusive-Konzept gearbeitet. Die Hotelchefin erklärt: „Wir wollten damit eine gewisse Leichtigkeit in den Urlaub bringen. Man muss über die Kosten der Getränke nicht mehr nachdenken, sich nicht entscheiden, ob man Rot- oder Weißwein trinkt. Auch das gehört zu einer ganzheitlichen Entspannung für uns dazu.“ Im Durchschnitt kostet eine Nacht all inclusive für den Gast rund 250 Euro im Doppelzimmer.

„Dirty Dancing“ und Heiratsanträge

Für Lea Oberhofer bedeutet der Healing-Travel-Ansatz ganz klar diese Leichtigkeit und dass die Gäste rundum abgeholt werden. Im Wellnessbereich darf beim „Dirty Dancing“-Sauna-Aufguss schon mal kräftig gelacht werden, wenn Saunameister Antonio auf den Knien zu „Time of my Life“ performt. Da vergisst man fast die 90 Grad in der Sauna. Die Schneeschuhwanderungen sind mittlerweile ein beliebter Anlass für Heiratsanträge. Wer rund um den Neumond im Hotel ist, wird zum Neumondwünschen eingeladen, das die Hotelchefin selbst leitet: „Wir machen eine Wanderung, jeder nimmt sein kleines Tagebuch mit, und wir schreiben dann über die Dinge, die wir nach diesem Monat loslassen möchten und wovon wir uns mehr oder weniger wünschen.“ Es sollen diese Momente der Begegnung sein, des Berührtwerdens und Sichberührenlassens, die für die Hotelchefin den heilenden Aspekt des Angebots mitbringen. Doch auch Atem- und Sound-Healing-Retreats gab es bereits im Sensoria.

Durchatmen

Lilly Fresacher führt das Haus Jausern in Saalbach. Der Begriff Healing Travel bedeutet für sie wenig – denn Reisen hat immer etwas Heilsames, wie sie erklärt. Das soll durch neue Orte, neue Erlebnisse geschaffen werden. In ihrem Hotel werden jeden Dienstag Atemkurse mit einer Expertin angeboten. Eineinhalb Stunden durchatmen und sich nur auf sich konzentrieren. „Wir gehen über einen sehr wissenschaftlichen und wenig spirituellen Ansatz an das Thema ran. Mich selbst hat das Thema als Unternehmerin und zweifache Mutter lange begleitet. Ich hatte das Gefühl, keine Verschnaufpausen mehr zu bekommen.“

Foto: © Captif GmbH
„Ich denke, dass man Frauen viel bewusster auffordern muss, sich eine Verschnaufpause zu gönnen.“
Lilly Fresacher

Viele der Menschen, die das Angebot annehmen, sind Frauen. Auch das achtsame Schneeschuhwandern im Winter oder Yoga im Sommer spricht vor allem Frauen an. „Es ist ganz klar Female Comfort, auf den wir setzen. Das ist mir auch wichtig. In allem, was ich im Haus anbiete, schwingt mein feministischer Ansatz mit, und ich denke, dass man Frauen viel bewusster auffordern muss, sich eine Verschnaufpause zu gönnen.“ Das weiß Fresacher auch aus persönlicher Erfahrung: „Wir sagen oft, es geht schon noch, es passt schon noch. Genau darum soll es bei diesem Reiseerlebnis nicht gehen. Man soll bewusst durchatmen. Das ist uns wichtig.“ Der Zimmerpreis im Haus Jausern startet bei 150 Euro für ein Einzelzimmer mit Frühstück.

Auszeit für die Seele

Während manche Resorts, besonders im Ausland, für den heilenden Aspekt der Reisen einen Aufpreis verlangen, verzichten Lilly Fresacher und Lea Oberhofer darauf. Im Haus Jausern mitten im Skigebiet wird das Durchatmen nebenbei mitgenommen. Alles ist darauf ausgelegt, dass sich die Gäste wohlfühlen – allerdings wird keine Wissenschaft daraus gemacht. Das Sensoria Dolomites verfolgt hingegen einen ganzheitlicheren Ansatz. Alles ist durchdacht und bewusst ausgewählt: das Essen, die MitarbeiterInnen, die Getränke und jedes Stück Deko. Während des Aufenthalts spüre ich kaum einen Unterschied zu einem hochwertigen Wellness-Wochenende, bei dem ich nicht darüber nachdenken muss, ob ich noch ein Glas Wein konsumiere. Die Kleinigkeiten fühlen sich gut an, der Aufguss ist lustig. Aber ob er wirklich etwas in meiner Seele heilt? Kurz vor der Abreise bin ich kritisch. Werde ich einen Unterschied spüren? Erst auf dem Weg zurück ins Arbeitsleben wird mir bewusst, dass ich immer noch tief durchatme. Ich bin es gewohnt, dass spätestens bei der Heimreise im Zug die Entspannung verpufft. Gerade nach einer kurzen Auszeit. Und wenn nicht dann, dann in dem Moment, wenn die E-Mails nur so ins Postfach schießen. Doch auch Tage später strömt die Luft tief in meine Lungen. Fordernde E-Mails prallen emotional an mir ab. Würde ich die Konzepte des Haus Jauserns und Sensoria Dolomites wirklich als Heilungsreise bezeichnen? Vermutlich nicht. Es ist eher eine kleine Verschnaufpause für die Seele als wirkliche Heilung. Aber auch das ist ab und an notwendig und viel wert.

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  • Veröffentlicht: 27.01.2025
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