Mein Optimismus hat gerade Burn-out. Jedenfalls, was die Zukunftsaussichten betrifft. Wenn’s nach ihm geht, ist das Glas nicht halb leer, sondern umgekippt.
Mein Optimismus nimmt uns die Gesamtsituation übel, er fühlt sich alleingelassen. Ich versuche, ihm gut zuzureden, aber merke, dass ich auch nur stammle. Der Pessimismus sagt: „Siehst du? Und es kommt noch schlimmer.“ Gott sagt, Pessimismus sei keine Option, und ich antworte: „Du hast gut reden.“ Gott ist so anstrengend, weil er/sie/es immer noch 80er-Lieder singt von neuen Wegen, auf die man vertrauen soll. Das kann ich gerade überhaupt nicht brauchen. Andererseits will ich gern noch ein paar Jahre leben, und die Aussicht, das mit dem Pessimismus als festem Partner an meiner Seite zu tun, ist wirklich keine Option.
Der Realismus schreit: „Aber wenn er doch recht hat?!“ Die beiden hängen in letzter Zeit verdächtig oft zusammen ab. Mir schwirrt der Kopf, weil alle durcheinanderreden und der Weltuntergang an die Tür hämmert. „Hallooo“, rufe ich, „alle mal einen Gang runterfahren!“
Tatsächlich wird es still in meinem Kopf, und alle sehen mich erwartungsvoll an. Ich greife zu einem Taschenspielerinnentrick: „Passt auf: Wir ändern probehalber mal den Bezugsrahmen. Jetzt ist jetzt. Die Gegenwart ist das Einzige, was wir haben. Was anderes gibt’s nicht. Selbst wenn das Glas mal voller, selbst wenn früher alles besser war: Vorbei ist vorbei. Über verschüttete Milch hilft es nicht zu jammern. Also: Wir haben genau jetzt ein volles Glas Gegenwart.“
„In der Größe eines Fingerhuts“, quäkt der Pessimismus dazwischen. Ich lasse mich nicht aus der Fassung bringen, sondern streichle ihm sanft über den Kopf. „Probier doch erst mal. Nimm den Mund mal so richtig voll.“
„Und wenn’s nicht schmeckt?“ Der Pessimismus ist echt ein Kontrollfreak. „Dann ist es ja nur ein Fingerhut“, sage ich. „Die Zukunft ist nichts anderes als Fingerhüte randvoll mit Gegenwart.“
Jetzt mischt sich tatsächlich der Optimismus wieder ein und sagt: „Außerdem liegt es ja auch an uns, wie wir sie füllen. Wir müssen nicht alles schlucken, was uns eingeschenkt wird.“
Ich sage „cheers“, und probeweise stoßen wir miteinander an auf das, was da noch kommt.
MEIN WORT-SCHATZ
Freut euch in der Hoffnung. Bleibt standhaft in Bedrängnis. Hört nicht auf zu beten. Übt Gastfreundschaft. Segnet und verflucht nicht.
Die Bibel, Paulus an die Römer, aus Kapitel 12