Eigentlich wollte sie Juristin werden. Doch der Einfluss einer Professorin und die Frage, was sie sich wirklich wünscht, ließen sie umdenken. Heute lebt Lia auf einem Hof in der Südoststeiermark – als Gemüsebäuerin. Eine Reportage über einen Neuanfang und darüber, was Erfolg und Luxus eigentlich bedeuten.
„Ich habe sieben verschiedene Gurkensorten angebaut“, sagt Lia (41) und reicht fröhlich eine Melothria, eine mexikanische Minigurke, zum Kosten. Sie schmeckt frisch und leicht säuerlich. Lia trägt einen breiten Strohhut, während sie durch ihren Gemüsegarten führt. In der Nähe watschelt Prinzessin mit ihren beiden Babys vorbei. „Die Gänse waren beim Kauf des Hauses dabei. Sie gehörten sozusagen zum Inventar“, lacht die Mutter einer fast vierjährigen Tochter. Genauso wie zehn Hühner und insgesamt zwölf Rehe und Hirsche, die man vom Garten aus beim Weiden beobachten kann. Eine der Lieblingsbeschäftigungen der Tochter ist es, altes Brot und Äpfel über den Zaun auf die Böschung zu werfen, um das Damwild damit zu füttern. „Es ist ein ganz anderes Leben hier als das, was wir in Wien geführt haben.“
Wertewandel
Seit sechs Jahren lebt die dreiköpfige Familie in einer kleinen Ortschaft in der Südoststeiermark. Damals gab Lia eine vielversprechende Karriere als Juristin auf, um auf dem Land Gemüsebäuerin zu werden. Ohne landwirtschaftliche Kenntnisse. „Als Kind wollte ich immer Landwirtin werden, weiß ich noch. Ich hab es auch geliebt, meiner Mama und Oma im Garten zu helfen. Aber das reicht natürlich nicht, um einen Hof zu führen.“ Überhaupt habe sie sich früher einen ganz anderen Werdegang vorgestellt. „Ich hatte damals einen ziemlich konservativen Blick auf die Welt: Man studiert, sucht sich einen guten Job, macht Karriere, baut ein Haus, kauft sich ein teures Auto … Und man hinterfragt gar nicht großartig, ob man das eigentlich auch wirklich möchte und was einen tatsächlich glücklich macht. Man macht es einfach, weil es alle um einen herum so machen.“
Während des Studiums kam das erste Umdenken. Bei einem Auslandssemester in der Schweiz besuchte Lia eine Lehrveranstaltung rund ums Thema Menschenrechte: „Da habe ich begonnen, über den Tellerrand hinwegzusehen und zu reflektieren.“ Eine Professorin hat Lias Weg schließlich maßgeblich beeinflusst: „Sie hat ihr Gehalt gedrittelt. Einen Teil hat sie gespart, von einem Teil hat sie gelebt, und den dritten Teil hat sie einer NGO gespendet. Das inspirierte mich, meinen Karriereweg zu hinterfragen. Ich fing ein Praktikum bei einer NGO zum Recht auf Nahrung an und begann, mich intensiv mit der Herkunft unseres Essens und mit globalen Zusammenhängen zu beschäftigen. Plötzlich sah ich mich nicht mehr in einer Anwaltskanzlei“, erklärt Lia.
Neuer Job, neues Haus, neues Leben
Nach ihrem Gerichtsjahr arbeitete sie bei der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie und später für ein Projekt für wohnungslose Frauen. Diese Erfahrungen prägten sie nachhaltig, auch wenn sie emotional sehr herausfordernd waren. „Wenn man nicht lernt, sich gut abzugrenzen, wachsen einem solche Aufgaben schnell über den Kopf. Da passiert viel persönliche Entwicklung. Ich denke noch immer gerne an diese Zeit, weil ich damals unglaublich viele inspirierende Frauen kennengelernt und selber viel gelernt habe.“
Später wechselte sie in einen Job im Asylbereich. Als dieser abgebaut wurde, erkannte sie die Chance, ihr Leben neu zu gestalten. „Ich mochte die Idee, etwas ganz anderes zu machen, und die Möglichkeit, raus aus Wien zu ziehen.“ Mit ihrem Partner Peter war sie zu dem Zeitpunkt bereits seit mehreren Jahren liiert. „Wir lebten getrennt – er in einer WG, ich in einer kleinen Einzimmerwohnung.“ Auch ihm gefiel die Idee, gemeinsam von der Großstadt aufs Land zu siedeln. Irgendwie, so sagt sie, fühlten sich beide eingeengt – nicht unbedingt räumlich, sondern vom Leben. „Für ihn ist es egal, wo wir unsere Basis haben, weil er mit seinem Open-Source-Unternehmen von überall arbeiten kann“, so Lia.
Experiment: Leben auf dem Land
Als Lia dort Arbeit fand, zog das Paar schließlich nach Markt Allhau nahe Oberwart im Burgenland. Der Umzug war nicht nur eine geografische Veränderung, sondern auch eine grundlegende Neuausrichtung ihres Lebens. Die Entscheidung, von der Stadt aufs Land zu ziehen, war für sie nicht nur eine Flucht vor dem hektischen Großstadtleben, sondern eine bewusste Suche nach mehr Selbstverwirklichung und einer tieferen Verbindung zur Natur. Die beiden nutzten die Gelegenheit, um „zu schauen, ob es uns gefallen würde“. Das tat es, und der Wunsch, Landwirtin zu werden, wurde immer konkreter. „Plötzlich wirkte alles viel realer und war nicht mehr nur ein Hirngespinst.“ Nach kurzer Zeit beschloss das Paar, sich ein eigenes Haus auf dem Land zu kaufen.
„Man entwickelt eine andere Wertigkeit, wenn man seine Lebensmittel selbst erzeugt.“
Das für sie perfekte Eigenheim fanden die beiden dann in Bad Loipersdorf in der Steiermark: einen Hof mitten in der Natur. Um sich den Traum vom Gemüseanbau und Selbstversorgen zu verwirklichen, fing Lia an, zahlreiche Bücher zu lesen, Seminare zu besuchen und YouTube zu durchforsten. So eignete sie sich mehr und mehr Wissen rund ums Thema Landwirtschaft an. Zusätzlich erhielt sie durch den Vorbesitzer des Hofs eine umfassende Einführung in die Tierhaltung und den Gemüseanbau. Lia besichtigte viele kleine Höfe, sprach mit Landwirtinnen und absolvierte auf dem zweiten Bildungsweg die Ausbildung zur landwirtschaftlichen Facharbeiterin.
„Wir sind von allen Nachbarn sehr herzlich aufgenommen worden – unsere unmittelbaren Nachbarn sind uns als alte Bauern auch mit Rat und Tat zur Seite gestanden, während sie gleichzeitig akzeptierten, dass wir unser eigenes Ding machen. Das beeindruckt uns nach wie vor sehr, und wir sind sehr dankbar dafür. Der Vorbesitzer hat uns auch sämtliche seiner Kontakte hiergelassen.“ Das hat vieles erleichtert. Dennoch waren die Arbeit im Garten und die ständige Weiterentwicklung herausfordernd. „Vor allem als unsere Tochter auf die Welt kam, würfelte das unser Leben noch einmal durcheinander. Man nimmt sich ständig so viel vor und schafft nur einen Bruchteil davon.“ Aber gerade auch das Muttersein bestärkte sie, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. „Weil man eine andere Wertigkeit entwickelt, wenn man seine Lebensmittel selbst erzeugt.“
„Wir alle hinterlassen Spuren auf dieser Welt – wir sollten uns überlegen, welche das sind.“
Persönlicher Reichtum
Mittlerweile hat sie sich einiges an Routine und Wissen angeeignet, fokussiert sich auf Nachhaltigkeit, Naturverbundenheit und Ressourcenschonung. „Wir alle hinterlassen Spuren auf dieser Welt – wir sollten uns überlegen, welche das sind.“ Seit vier Jahren verkauft sie bunte Gemüsekisten, die sie alle zwei Wochen ausliefert und wöchentlich ab Hof anbietet. Ihre Kundschaft besteht vorerst noch hauptsächlich aus FreundInnen und Bekannten aus der Region und Klosterneuburg, ihrer ursprünglichen Heimatstadt. Schnelles Wachstum ist nichts für sie. Alles soll sich mit der Zeit entwickeln. Ohne Druck und ohne Muss. Lia schätzt den direkten Kontakt zu ihren KundInnen und die Möglichkeit, ihre Leidenschaft für den Gartenbau zu teilen. „Mir ist es ein Anliegen, Raritäten anzubauen, etwa Sprossen von Erbsen und Zuckerschoten. So kann ich eine Geschmacksvielfalt bieten, die in der Massenproduktion selten vorkommt. Diese Spezialitäten kriegt man sonst kaum wo, weil sie maschinell nicht zu erzeugen sind oder zu wenig Ertrag bringen, um rentabel zu sein.“
Um Geld im Sinne großer Gewinne, so sagt sie, ginge es ihr nicht. Das wäre auch der falsche Ansatz, so die Wahlsteirerin. „Der Hof, das Haus, der Garten – das alles ist mit vielen Ausgaben verbunden. Wir sind mit allem noch immer im Aufbau. Schlussendlich wollen wir ein gutes Auskommen erlangen und uns eine solide Lebensgrundlage schaffen. Und dann ist da die Sache mit der Lebensqualität und persönlicher Erfüllung: Für mich ist es der größte Luxus, jeden Tag hier draußen zu sein, selbstbestimmt leben zu dürfen und zu wissen, was wir essen.“