Passionsraum Jerusalem


Grabeskirche / © Werner Anselm Buhre
Karfreitag. Die monumentale Basilika füllt sich. Der Zustrom der Pilger und der Handyfotografen, der vom Garten Gethsemane kommend über die Via Dolorosa in die Grabeskirche quillt, ist endlos. Gelegentlich muss das Militär die Straße blockieren, um eine aufkeimende Massenpanik zu unterdrücken, um Raum in dem beklemmenden Gedränge zu schaffen.

Polizeiaufgebot / © Werner Anselm Buhre
Diese Stadt kocht! Als ich erstmals zu Silvester 2010 nach Jerusalem kam, lag eine Spannung in der Luft, die mir langsam unter die Haut kroch, und ich verstand: Das ist der Passionsraum, in dem die meisten tödlichen Kontroversen des Mittleren Ostens eine starke Wurzel haben. Die Kämpfe über Jahrzehnte hinweg, religiös bedingt und inspiriert, werden politisch und militärisch ausgetragen.
Im Jahr 2012 kam ich zurück, zu den Osterfeierlichkeiten, und machte einige Bilder. In der Via Dolorosa drängten sich christliche Pilger aller Kontinente, und in derselben Woche reisten viele Juden nach Jerusalem, um Pessach zu feiern. Nur die Palästinenser gingen in ihrer entspannten Weise einem geschäftigen Leben nach: Sie hießen die Christen in ihren Shops willkommen und lehnten die Juden wegen der Annexion Ostjerusalems insgeheim ab.

Armenisch-orthodoxe Mönche / © Werner Anselm Buhre
Schön ist, dass die Grabeskirche von so vielen christlichen Gruppierungen geteilt wird: von römischen Katholiken, Kopten, griechisch-orthodoxen und armenisch-orthodoxen Christen.

Slowakische Christin / © Werner Anselm Buhre
Der Karfreitag im Jahr 2012 fiel für römisch-katholische und für orthodoxe Christen auf ein und denselben Tag, was nur alle drei oder vier Jahre der Fall ist. Daher war das Gedränge unbeschreiblich! Im Vordergrund (Bild oben) kämpft sich eine slowakische Christin mit ein paar Kreuzen durch die Menge.

Jesus-Darsteller / © Werner Anselm Buhre
Ein amerikanisches Filmteam begleitete diesen Jesus-Darsteller durch die Via Dolorosa. Der palästinensische Gastwirt Tayseer versicherte mir, dieser Jesus sei ein Schauspieler aus Südafrika und nicht zum ersten Mal hier. Verständlicherweise trug er statt eines Dornenkranzes ein Geflecht aus Weinreben. In den Souvenirshops rund um die Grabeskirche kann man die Passionsvideos der letzten Jahre kaufen.

Koptisch-orthodoxe Afrikaner / © Werner Anselm Buhre

© Werner Anselm Buhre
Die koptisch-orthodoxen Afrikaner feierten die Auferstehung mit Gesängen, Trommeln und Tänzen. Ihre Religiosität erschien mir tief verankert, aber lustvoller und nicht so erschütternd inbrünstig oder „streng” wie die der osteuropäischen Katholiken. Koptische Nonnen, Pilger aus Eritrea und Äthiopien sangen und trommelten hier voller Hingabe ihre Lobpreisungen.
In der Zeit um Ostern lag auch das mehrtägige Pessach-Fest, ein willkommener Anlass für viele jüdische Familien aus aller Welt, sich in Jerusalem zu treffen.
Streng orthodoxe Juden tragen Beikeles und Bart, was auf ein Gebot der Thora zurückgeht: „Ihr sollt euer Kopfhaar nicht rundum abschneiden.“ (Levitikus 19,27) Ich war mir nahezu sicher: Dieser tagträumende Mann mit dem suchenden Blick in dem großzügig geschnittenen Sakko, der nicht sprach und für sich blieb, dachte wohl an alles andere als an Thoragebote.

Stolze Kinder mit ihren Spielzeuggewehren / © Werner Anselm Buhre
Palästinensische Frauen kommen aus der Altstadt Jerusalems vom Einkauf zurück. Ihre Söhne laufen voraus und halten stolz die Spielzeuggewehre hoch. Üben sie schon für den Kampf als erwachsene Männer?
Der Felsendom (unten) wurde über einem freiliegenden Gesteinsblock errichtet, der heute der Grundstein im Herzen des Domes ist. Die Legende will, dass sich der Prophet Mohammed in Begleitung des Erzengels Gabriel von diesem Felsen aus in die Lüfte erhoben habe und nach Mekka gereist sei.

Felsendom / © Werner Anselm Buhre
Nun sind der Grundstein und seine Umgebung nicht nur für Moslems eine heilige Stätte, sondern sie sind auch für Juden der heiligste Ort ihres Glaubens. Traditionell erachten sie den Felsen als die heiligste Stätte auf Erden.

Klagemauer / © Werner Anselm Buhre
Für den jüdischen Gläubigen ist der günstigste Ort für das Gebet jener, der am nächsten zum Felsen des Domes liegt. Da aber die muslimischen Behörden den Juden den Zugang zum Tempelberg untersagen, entstand der Brauch, an der Westwand zu beten.

Moslemische Viertel der Jerusalemer Altstadt / © Werner Anselm Buhre
„Welcome! Welcome back!“, grüßt das islamische Graffiti, das überall im moslemischen Viertel der Jerusalemer Altstadt zu sehen ist. Es heißt den Pilger willkommen, der vom Haddsch aus Mekka zu seinem Haus zurückkehrt.
Zum Fotoprojekt
Den Wiener Fotografen Werner Anselm Buhre hat das „unterschwellige Brodeln der gegeneinanderschwappenden Kulturen“ (Zitat) in Israel fasziniert. Seine gesamte Fotoreportage „Passionsraum Jerusalem“ ist als Onlinebuch auf der Website www.buhre.eu im Kapitel „books“ zu sehen.Erschienen in „Welt der Frau“ Ausgabe 04/15 – von Werner Anselm Buhre