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06/25

Erich Lehner fordert: „Wir brauchen Männerpolitik!“

Erich Lehner fordert: „Wir brauchen Männerpolitik!“
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  • Veröffentlicht: 01.07.2025
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Warum ist Politik für Männer wichtig und was macht einen „guten“ Mann aus? Ein Gespräch mit dem Psychotherapeuten und Männerforscher Erich Lehner über den neuen Druck auf sein Geschlecht.

Sie haben sich bereits Ende der 1980er-Jahre mit Männerforschung beschäftigt. Wie hat sich der Männlichkeitsbegriff seit damals verändert?

Begonnen haben wir sehr, sehr konservativ. Männer und Frauen wurden existenzialistisch gedacht, also: Die Frau ist für die Pflege da, der Mann fürs Einkommen. Heute sind wir viel offener für sich verändernde Männlichkeiten, wobei es keine lineare Entwicklung zum partnerschaftlichen Mann gibt, sondern sich unterschiedliche Gruppen oder Milieus stark unterscheiden. Manche sind bei einer traditionellen Männlichkeit geblieben, andere sind liberaler geworden, kümmern sich um Kinder und Pflege. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es jede Form von Mischungsverhältnissen von liberal und konservativ.

Immer wieder wird die Migration dafür verantwortlich gemacht, dass sich ein längst überholtes Männerbild erneut ausbreitet. Ist da etwas Wahres dran?

Dieses konservative Männerbild ist nicht durch Migration entstanden, es war immer schon da. Früher war es vielleicht etwas stiller. Was wir aber schon beobachten können, ist, dass auf der großen politischen Ebene die konservativen Parolen von Männlichkeit wieder en vogue geworden sind. Die Migration ist daran nicht schuld – aber wir haben durch sie eine Kumulation von Männern, die ein traditionelleres Bild haben und dieses auch laut artikulieren. Man muss aber klar sagen: Es sind die Verhältnisse, in denen manche Ideen Widerhall finden. Und in einer Zeit wie jetzt, in der es viele Krisen gibt, werden traditionelle Felder der Männlichkeit wieder lauter. Genau daran müssten wir jetzt arbeiten, darüber reden, reflektieren, es öffentlich thematisieren – und nicht die Migration dafür verantwortlich machen.

Brauchen wir also eine Männerpolitik?

Absolut. Das ist genau der Punkt. Frauenpolitik folgt dem Gedanken, dass man einer Gruppe von gesellschaftlich Benachteiligten eine Stütze gibt. Das ist bei der Männerpolitik nicht der Fall, weil sie keine benachteiligte Gruppe oder Minderheit sind. Man braucht Männerpolitik, um Männlichkeitsmuster so zu verändern, dass sie zu Gleichstellung führen. Allein durch autonome Frauenpolitik gibt es keine Gleichstellung, es braucht immer auch den Part der Männer zur Veränderung.

Worunter leiden Männer heute?

Für junge Männer ist es oft sehr schwierig, die Widersprüchlichkeiten von Männlichkeit zu lösen. Auf der einen Seite gibt es die Ansprüche an eine moderne Partnerschaftlichkeit, auf der anderen Seite das Verharren in konservativen Strukturen. Viele haben Schwierigkeiten, diese widersprüchlichen Anforderungen aufzulösen. Andere hätten gerne die traditionelle Männlichkeit wieder zurück, weil sie ihnen eine Stütze ist.

„Die toxische Männlichkeit ist kein Gegensatz zur ‚normalen‘ Männlichkeit, sondern ihre Zuspitzung.“
Erich Lehner

Haben Männer Angst vor Ausgrenzung, wenn sie sich nicht wie traditionelle Männer verhalten?

Das hängt vom Milieu und vom Kontext ab. Wir müssen differenzieren, aber grundsätzlich ist es für viele Männer wichtig, was die Gruppe sagt. Deshalb ist es auch so wichtig, dass in Betrieben von ganz oben das Signal kommt, dass Männer unbedingt in Karenz gehen sollen. Sonst ist der Druck in der Belegschaft groß und mit der Angst verbunden, den Job zu verlieren oder nach der Karenz schlechtere Bedingungen zu haben – was Frauen im Übrigen genauso betrifft. Die Bereitschaft von Männern, sich um Familienangehörige zu kümmern, geht nur so weit, dass es nicht ihre berufliche Verfügbarkeit eingrenzt, weil Männer stärker an ihrem Beruf orientiert sind.

Warum haben viele Männer Sorge, der Feminismus würde ihnen schaden? Sie profitieren doch auch davon, oder?

Sie profitieren in Form von höherer Lebensqualität, besserer Gesundheit, mehr Sozialleben. Feminismus wäre eigentlich eine tolle Sache für Männer, aber die Angst, dass dadurch der eigene berufliche Werdegang beeinträchtigt wird, ist immer noch größer. Die Angst, die eigene Karriere zu beeinträchtigen und dadurch dann auch finanzielle Verluste hinnehmen zu müssen, ist für viele Männer das größte Hindernis, sich vermehrt der Familienarbeit zu widmen.  Männer verspüren großen Druck, die Reputation aufrechtzuerhalten, die Familie zu ernähren, im Job zu sein, den Mann zu stehen.

Welche Rolle spielt hier die viel zitierte „toxische Männlichkeit“?

Die toxische Männlichkeit ist kein Gegensatz zur „normalen“ Männlichkeit, sondern ihre Zuspitzung. Zum traditionellen Bild von Männlichkeit gehört Dominanz, Konkurrenz und Gewalt. So wie wir den Begriff „toxisch“ verwenden, deutet er an, dass es nur eine bestimmte Gruppe betrifft. Wir müssen aber sehen, dass ein großer Anteil an Toxizität in unserem traditionellen Männlichkeitsbild vorhanden ist. Solange wir diese Männlichkeit haben, wird es immer gewalttätige Männer geben. Nicht alle Männer sind Gewalttäter, aber fast alle Gewalttäter sind Männer. Wir Männer, wir müssen das aushalten: Es ist in unserem Männerbild vorhanden, damit tangiert es uns, auch wenn es nicht unsere Schuld ist. Wir können nicht sagen: Es geht mich nichts an, ich bin eh ein Braver.

Wie würden Sie einen „guten Mann“ beschreiben?

Ich würde sagen, ein guter Mann ist ein partnerschaftlicher, sozial ausgerichteter Mensch, wo die Selbstsorge und die Sorge um andere im Einklang ist. Philosophisch gesprochen: Wo das Streben nach Autonomie und das Bindungsstreben in einer ausgeglichenen Art und Weise vorhanden sind.

Was brauchen vor allem junge Männer, um derart ausgeglichene Männer zu werden?

Das Beste wäre, wenn sie in ihrer Entwicklung genau diese Ausgeglichenheit von den Erwachsenen erfahren würden. Der Grund, warum Kinder sich in Familien, wo echtes „Halbe-Halbe“ gelebt wird – egal, ob schwul, hetero oder queer – besser entwickeln: Sie erleben von Anfang an, dass die soziale Orientierung mit den eigenen Bedürfnissen in Einklang ist. Das ist der Idealzustand.

Zur Person

Im Rahmen seiner theologischen Dissertation stieß Erich Lehner auf die Männerforschung. Seit damals – Ende der Achtziger – ist er dem Thema treu geblieben. Er ist Psychotherapeut und Vorsitzender des Dachverbandes der Männerarbeit in Österreich (DMÖ).

Ursel Nendzig

Chefin vom Dienst

Ist seit vielen Jahren als Redakteurin und Autorin unterwegs. Dafür ist es meist gar nicht nötig, weit zu reisen – die berührendsten, spannendsten und wichtigsten Geschichten spielen sich direkt vor ihrer Nase ab. Überall dort, wo es menschelt, fühlt sie sich wohl und Themen rund um Gesellschaft, Frauen und Feminismus liegen ihr besonders am Herzen. Geboren (Schwäbische Alb, Süddeutschland) und Aufgewachsen (Wienerwald) im kleinen Dorf lebt und schreibt sie heute mit ihrer Familie in einem kleinen Häuschen am Rande der großen Stadt.

Foto: Barbara Aichinger


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