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03/25

Die Kunst des Miteinanders

Die Kunst des Miteinanders
© Kerstin Bamminger

Wie ich bei einem kreativen Projekt unerwartet meine kindlichen Kritzeleien hinter mir ließ, zu künstlerischer Hochform auflief und dabei auch noch etwas für die Gestaltung von Paarbeziehungen lernte.

Zeichnen und Malen sind einfach nicht meine Stärke. Meine Vögel sehen aus wie das Gekritzel eines Kindergartenkindes, ein Haus bekomme ich standardmäßig gerade so hin und einfach umrissen kann man meinen Apfel eher schlecht als recht von einer Birne unterscheiden. Schon in der Schule merkte ich: Das ist höchstens Mittelmaß, was ich hier zusammenbringe. Kaum zu glauben, dass ich vor einigen Jahren geschafft habe, ein wirklich cooles überdimensionales Porträt zu malen. Ich, das künstlerische Antitalent schlechthin!

An einem kalten Februarmorgen stapfen meine Freundin und ich in das Atelier einer oberösterreichischen Künstlerin. Ein Gemälde malen – so das Geschenk zu meinem Vierziger. Beim Anblick der Werke an den Wänden werde ich ehrfürchtig: „Nie im Leben schaffe ich, dass das annähernd so cool ausschaut.“ Ich freue mich, Zeit mit meiner Freundin zu verbringen und zu plaudern. Ob sonst was Lohnenswertes herauskommt, bezweifle ich an diesem Punkt, doch wir starten los. Nach einem Crashkurs in Licht- und Farbenkunde durch Künstlerin Mona wählen wir eine Leinwand aus. Größe, Struktur und Qualität entscheiden maßgeblich mit, was am Ende herauskommt. Am besten steht auch schon fest, wo das gute Ding später hängen soll – sonst ist man bereits verloren, bevor man den ersten Pinsel anrührt. Wie in einer Paarbeziehung, denk ich mir.

Wahl der Leinwand: gemeinsame Basis schaffen

In Partnerschaften kann man die Leinwand als Fundament für die Beziehung verstehen. Eine Basis, auf der beide arbeiten können. Das bedeutet, sich über gemeinsame Werte, Ziele und Erwartungen klarzuwerden. Auch wenn man keinen Tau hat, wie das fertige Bild aussieht: Der Rahmen sollte bereits gut verhandelt sein, damit auch der Rest Spaß macht. Was kann ich mir vorstellen, was sind verhandelbare Aspekte und was fällt aus dem Rahmen? Über diese Themen zahlen sich Gespräche in Partnerschaften immer wieder aus.

Die Künstlerin bringt uns samt gewählter Leinwand an unseren Arbeitsplatz, wo wir das kahle Ding auf einer schönen Staffelei platzieren. Jetzt geht’s darum, die Angst abzulegen. Mit dem gewählten Farbspektrum auf der Mischplatte ermutigt sie uns: „Einfach drauf los!“ Komisch, wie einschüchternd eine leere, unbefleckte Fläche wirken kann. Erst nach Armlockerungen und dem bewussten Atmen bringen wir unsere ersten Farbtupfer auf und finden schnell Freude daran. Weil wir merken, dass wohl viele Wege ins berühmte Rom führen. Wie in einer Paarbeziehung, denk ich mir.

Farben und Techniken: Vielfalt akzeptieren und den eigenen Stil finden

Es gibt nicht die eine „richtige“ Art, Beziehung zu leben. Wie beim Malen existieren diverse Techniken, Stile und Vorlieben – genau diese Vielfalt macht es spannend. Jede/r bringt eigene Farben (Persönlichkeit, Erfahrungen, Vorlieben) und Techniken (Umgang mit Konflikten, Kommunikation) mit und es gilt, daraus ein abgestimmtes Werk zu fertigen. Auch in Beziehungen braucht es eine Prise Mut zum Experimentieren, ein wenig Flexibilität und viel Gespür füreinander, wenn es darum geht, ein ausgewogenes Bild (Beziehung) zu gestalten.

Als auch der letzte weiße Fleck der Leinwand in Farbe getränkt ist, heißt es erst mal warten. Die Farbe darf trocknen, bevor wir weiterpinseln. Wir nützen die Pause, um uns zu stärken und auf die nächste Phase vorzubereiten. Mithilfe einer Vorlage aus einem Magazin (ein Selbstporträt war uns dann doch zu ambitioniert) wollen wir ein überdimensionales Gesicht aus einem willkürlichen Haufen Farbkleckse entstehen lassen. Meine Zweifel, ob das gelingt, ertränke ich in Kräutertee. Wie in einer Paarbeziehung, denke ich mir.

Geduld und Schichten: nichts entsteht über Nacht

Langjährig gelingende Paarbeziehungen werden nicht am ersten Tag gebaut. Unzählige Schichten, gemalt aus Geduld, Wertschätzung, Zuneigung, aber auch aus Auseinandersetzung mit Herausforderungen und dem Überstehen von Krisen, lassen tragfähige Verbindungen entstehen. Dazwischen braucht es wie beim Malen Zeit zum Trocknen (abkühlen und aussöhnen), bevor man gut weitergehen kann. Bis eine Beziehung eine schöne Form annimmt, kann es dauern, und während der gesamten Zeit braucht es Aufmerksamkeit und Pflege – damit man während des Gestaltens nicht austrocknet.

Der knifflige Teil beginnt. Mit Kohle skizzieren wir auf die Leinwand. Vorher gab es noch ausführliche Einweisungen bezüglich Proportionen eines Gesichts und was dabei zu beachten ist. Ich beginne also mit den riesigen Augen, arbeite mich zu Nase und Lippen vor und versuche, die Kopfgröße nicht aus dem Fokus zu verlieren. Das Gute ist: Ein falscher Pinselstrich ist kein Drama, weil immer die Möglichkeit zum Korrigieren besteht. Schließlich soll das Gesicht auch schön anzusehen sein, wenn es im Wohnzimmer hängt. In der Not hilft uns Künstlerin Mona mit ihrem fachkundigen Auge und ihren geschickten Händen weiter. Wie in einer Paarbeziehung, denke ich mir.

Fehler sind Teil des Prozesses: keine Angst vor dem Scheitern

Auch in Partnerschaft wird es nicht ohne „Fehler“ gehen. Wie auf der Leinwand sollten wir mutig sein und nicht davor zurückschrecken, Erfahrungen zu machen, die uns weiterbringen. Momentan mag man sich wohl ärgern, wenn ein Patzer passiert, doch insgesamt machen uns Fehler stärker. Wir lernen deutlich mehr in Krisen, als wenn alles glatt läuft. Damit uns Fehler und Auseinandersetzungen nicht abschrecken, brauchen wir friedliche Strategien, um diese zu managen. Und versöhnliche Worte eignen sich bestimmt zum „Übermalen“, wenn wir verletzen, kränken oder uns im Ton vergreifen. Für professionelle Unterstützung, die das Leben leichter macht, darf man sich auch jederzeit entscheiden – weil es dann wie beim Malen viel schneller geht, eine schöne Lösung zu erarbeiten!

Mit Schwarz und Weiß arbeiten wir am Ende Schatten und Licht heraus und plötzlich wird das Kunstwerk plastisch. Die Lust und Lockerheit, mit dem Pinsel zu arbeiten, wird stündlich größer, und meine Freundin und ich werden beinah kleinlich mit schönen Details. Nach gut neun Stunden ist es Zeit, den Pinsel wegzulegen und das Bild wirken zu lassen. Stolz und zufrieden blicken wir auf das, was an diesem Tag entstanden ist. Wir sind beide echt beeindruckt und überrascht von uns selbst, auch wenn wir schon nach ein paar Minuten Dinge entdecken, die noch optimiert werden könnten. So geschult ist unser Auge mittlerweile. Wie in einer Paarbeziehung, denke ich mir.

© Kerstin Bamminger

Gemeinsame Bilder dynamisch lassen: ständiges Weiterentwickeln erwünscht

Beziehungen verändern sich wie Kunstwerke. Manchmal denkt man, ein Bild sei fertig, nur um später neue Schichten hinzuzufügen und es weiterzuentwickeln. So dürfen wir auch über Partnerschaften denken: beizeiten zufrieden und stolz auf das Geschaffene blicken und sich daran erfreuen, aber dennoch offen bleiben für Veränderung und wenn gewünscht, neue Farben und Akzente hereinbringen, die das Bild wieder spannend und lebendig machen. Oder überhaupt alles übermalen und ganz von vorne beginnen. Alles ist möglich. Zwischen Menschen gelingt das im neugierig interessierten Gespräch, mit der Bereitschaft, ungewohnte Dinge zu probieren, und mit dem Mut, andere Perspektiven zu wagen.

Völlig erschöpft treten wir am Abend die Heimreise an. Zwei fantastische Acryl-auf-Leinwand-Werke im Gepäck. Die Familie ist schwer beeindruckt, als ich das gute Ding zuhause herzeige. Am meisten stolz bin ich vermutlich selbst bei dem Gedanken, dass ich mit ein wenig Anleitung, guten Materialien und dem richtigen Werkzeug zu deutlich mehr fähig bin als ein paar patschert gekritzelten Vögeln. Das Gemälde wird mich sowohl an meine künstlerischen Fähigkeiten erinnern als auch daran, dass das Zusammenleben eine Kunst ist, die ich ebenso lernen und weiterentwickeln kann.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin, Elementarpädagogin & Supervisorin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 21.11.2024
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