Katharina Braun ist Scheidungsanwältin und täglich mit Krisen, Konflikten und Trennungen konfrontiert. Sie weiß: Liebe erfordert Offenheit und Selbstreflexion. Im Interview spricht sie über Gefühlskälte, Achtsamkeit in Beziehungen und die Chancen, die aus Trennungen entstehen können.
Glauben Sie an die Liebe?
Ja, ich glaube an die Liebe. Aber ich glaube auch, dass man für sie bereit und offen sein muss – und vor allem mit sich selbst im Reinen. Sonst lädt man seine eigenen Lasten beim anderen ab, und das hält keine Beziehung langfristig aus. Eine Scheidung ist nicht das, was man sich wünscht, wenn man heiratet. Sie ist aber auch nicht das Ende, sondern nur eine Lebensphase, die im Idealfall schnell vorübergeht. Danach soll auf alle Beteiligten ein neues, vielleicht besseres Leben warten.
Sie sind selbst einmal geschieden. Muss man diese Erfahrung selbst gemacht haben, um die KlientInnen besser verstehen zu können?
Nicht unbedingt, aber ich habe in dieser Zeit gelernt, wie wichtig es ist, das Positive zu sehen. Mein Ex-Mann und ich haben einen wunderbaren Sohn. Diese Ehe gehört zu meiner Biografie, und zu der Zeit, in der sie funktioniert hat, war sie richtig und wichtig für mein Leben. Darauf darf man vertrauen.
„Wir leisten permanent so viel, da passiert es schnell, dass man die Beziehung auf später verschiebt. Doch die Liebe will gepflegt werden.“
Wie hat sich Ihre Sicht auf die Liebe durch Ihre Arbeit verändert?
Für mich hat Liebe viel mit Commitment zu tun, vor allem, wenn die Verliebtheitsphase vorüber ist. Man kennt die Schwachpunkte des anderen und sagt: „Ich liebe dich trotzdem. Oder vielleicht sogar deswegen.“ Alle Ecken und Kanten machen uns aus, nicht nur die schönen Seiten. Besonders wenn das Kribbeln aufhört, ist es wichtig, dass ich mich auf meinen Partner verlassen kann.
Klingt dann doch sehr pragmatisch …
Nein! Aufeinander zu schauen, ist für mich durchaus romantisch. Zu wissen, dass ich dem anderen nicht egal bin. Aus eigener Erfahrung weiß ich, es gibt nichts Schlimmeres, als krank oder in einer Krise zu sein und vom Partner keine Unterstützung zu spüren. Auch im Alltag braucht es Achtsamkeit. Wir leisten permanent so viel, da passiert es schnell, dass man die Beziehung auf später verschiebt. Der Partner ist ja eh da – doch die Liebe will gepflegt werden.
Warum werden die meisten Ehen geschieden?
Auf den ersten Blick ist es häufig das Fremdgehen.
Und auf den zweiten?
Da ist es oft eine Gefühlskälte, die schon seit Jahren da ist. Viele sehnen sich danach, wieder gesehen und wahrgenommen zu werden. Es würde meist nur wenig brauchen – eine kleine Geste, ein liebes Wort, ein ernstgemeintes „Wie geht es dir?“. Doch diese Kleinigkeiten fehlen häufig, und dann entsteht eine Distanz, die schwer und irgendwann vielleicht gar nicht mehr zu überwinden ist.
Wie schafft man es, diese Achtsamkeit im Alltag zu kultivieren?
Indem man sich bewusst dafür Zeit nimmt – wie für das Fitnessstudio – und sich zumindest einen Abend in der Woche als Paar reserviert, einander bewusst Fragen stellt, einander aufmerksam zuhört.
Haben Sie auch schon Ehen gerettet?
Ja, auch das ist Teil meines Jobs, und ich empfinde es, wenn es mir gelingt, als einen meiner größten Erfolge. Einmal hatte ich einen Gastronomen, der sich scheiden lassen wollte, weil seine Frau angeblich immer mit seinen Gästen flirtete. Er hat so lieb von ihr und den Kindern gesprochen, und ich fragte ihn, ob er denn schon mal mit ihr über das Problem geredet hat. Das hatte er nicht getan, sondern war direkt zu mir gekommen. Ich habe ihn nach Hause geschickt und dann nichts mehr von ihm gehört. Jahre später habe ich ihn bei einer Veranstaltung wieder gesehen – zusammen mit seiner Frau. Die zwei haben noch ein Kind bekommen und haben sich bei mir bedankt. Manchmal sind es tatsächlich nur Missverständnisse, aus denen vermeintlich unlösbare Konflikte entstehen, weil wir zu stolz sind, um ehrlich miteinander zu reden.
„Wenn eine Frau die Scheidung will, dann steht sie fest dahinter. Männer sind da oft nicht ganz so konsequent.“
Wut, Trauer, Enttäuschung, Frustration: Was sind die stärksten Emotionen, die Sie in Ihrer Arbeit erleben?
Sehr viele sind enttäuscht und verletzt. Bei einigen spüre ich sogar Hass. Das kann sich aber tatsächlich oft noch wenden. Das Schlimmste aber ist wohl die Gleichgültigkeit. Wenn jemandem ein Mensch egal ist, ist es wirklich aus.
Wie schaffen Sie es, dass diese negativen Gefühle nicht auf Sie überschwappen?
Mit Humor, einer hohen Resilienz und einem guten sozialen Umfeld. Außerdem bin ich auch gerne und viel in der Natur.
Wer will häufiger die Scheidung: Männer oder Frauen?
Zu mir in die Kanzlei kommen tendenziell mehr Männer. Das spiegelt aber nicht unbedingt die allgemeine Situation wider, sondern liegt oft daran, dass sie glauben, ich könne mich besser in ihre Frauen hineinversetzen als ein männlicher Anwalt. Was ich auch beobachte: Wenn eine Frau die Scheidung will, dann steht sie fest dahinter. Männer sind da oft nicht ganz so konsequent.
„Ich rate in jedem Fall zu einem Ehevertrag, vor allem auch, weil sich bei einer Trennung oft das wahre Gesicht des anderen erst richtig zeigt.“
Scheiden Sie mehr Ehen mit Kindern oder kinderlose Ehen?
Definitiv mehr Ehen mit Kindern. Man sollte sich idealerweise gut überlegen, warum man Kinder bekommen möchte. Kinder verändern vieles, aber sie kitten keine Beziehung, die in Schieflage geraten ist.
Raten Sie zu Eheverträgen?
Bei einer Scheidungsrate von mehr als 50 Prozent kann niemand behaupten, er hätte nie im Leben mit einer Trennung gerechnet. So realistisch muss man sein. Diejenigen, die sagen, sie brauchen keinen Ehevertrag, sind die Schlechterverdienenden (lacht). Also ja, ich rate in jedem Fall zu einem Ehevertrag, vor allem auch, weil sich bei einer Trennung oft das wahre Gesicht des anderen erst richtig zeigt.
Nachdem wir uns jetzt so lange über Konflikte, Krisen und das Scheitern von Beziehungen unterhalten haben: Was spricht eigentlich für die Ehe?
Neben Aspekten wie dem Erb- und Sozialversicherungsrecht gibt es für mich vor allem ein starkes emotionales Argument: Die Ehe ist ein Bekenntnis. Sie ist der Wunsch, dem anderen zu zeigen: „Ich stehe zu dir und bin bereit, Verantwortung zu übernehmen.“ Das hat eine besondere Qualität, die über bloßes Zusammenleben hinausgeht.

Zur Person:
Katharina Braun ist Rechtsanwältin mit langjähriger Praxis in renommierten Kanzleien. Im Familienrecht bietet sie ganzheitliche Beratung an und unterstützt durch ein Netzwerk aus TherapeutInnen, DetektivInnen und Immobiliensachverständigen.