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10/24

Buchempfehlung: „Wintersonnenwende“

Buchempfehlung: „Wintersonnenwende“

Das Autorenduo schickt den von seinem Einsatz im Balkankrieg noch immer traumatisierten Ermittler Tomas Wolf wieder los, um die Bösen zu jagen.

Morde, Hinrichtungen und ein kleiner Funken Hoffnung

Bei seinen Ermittlungen hat Tomas Wolf Probleme mit der Grenzziehung zwischen Gut und Böse – davon erzählt bereits der erste Band „Sommersonnenwende“ ausführlich, in dem Wolf die geniale wie mutig-übergriffige Journalistin Vera Berg kennenlernt. Auch sie meint, das Gesetz manchmal übertreten zu dürfen, etwa dann, wenn es um das Wohl eines Kindes geht, das von seinem Vater schwer vernachlässigt wird. Vielleicht nennt man diese Zustände einfach „Leben“ und folgt dann im zweiten Band, der sich ganz vorzüglich auch als Einstieg lesen lässt, den Ermittlungen quer durch Stockholm beziehungsweise Schweden.

Was hat der Mord an einem alten Säpo-Beamten mit dem Untergang der Fähre Estonia im September 1994 zu tun? Ausgerechnet zu Silvester 1994 nimmt Vera wieder die Spurensuche auf, will endlich nachweisen, dass Tomas seinen Bruder getötet hat, will ihren neuen Job behalten und ihrem Ruf als Starjournalistin gerecht werden. Dass sie ihr Verhältnis zum Chefredakteur immer wieder in Frage stellt, hindert diesen nicht daran, sie weiterhin zu protegieren – wohl aus Liebe. Tomas kämpft mit Gedächtnisverlust und versucht, seinen beiden Kindern ein verlässlicher Vater zu sein, auch nach der Trennung von seiner Frau, die jetzt eine stabile Freundin ist. Dass der kleine Sigge vor Veras Tür steht, erleichtert ihr nicht gerade die Ermittlungen und macht sie auch erpressbar.

„Vera drückte Sigge fest an sich. Er zitterte. Sie dachte an den Tag im letzten Sommer, als Jonny sich aus dem Staub gemacht hatte und sie mit dem Vorsatz, Sigge beim Jugendamt abzugeben, mit ihm in Malmö draußen vor der Behörde gestanden hatte. Aber sie hatte es damals nicht übers Herz gebracht, und sie würde ihn auch diesmal nicht alleinlassen.“
Seite 80

Ellen, die sich als Prostituierte ihre Drogen finanziert, ist nach dem Tod ihrer Mutter immer tiefer in die Abhängigkeit ihrer reichen und einflussreichen Kunden gerutscht. Viele von ihnen arbeiten beim Geheimdienst Säpo. Ellen muss fliehen und begreift, dass ihre Mutter als Spionin gearbeitet hat und nicht an Krebs gestorben ist, sondern vergiftet wurde.

Viele Einsame hetzen durch die Geschichte, die von Grautönen der menschlichen Seele erzählt: Sigge wird von Vera versteckt und Tomas verstrickt sich immer heftiger in seine Lügen. Jänner in Stockholm, viel Schnee, viel Lügen, viel Kaffee und doch auch ein wenig Zimtgeruch über all diesen Katastrophen. Hier gibt es keine einfachen Lösungen, hier gibt es komplizierte Navigationen und spontane Entscheidungen: Man liebt Tomas und Vera, wünscht Sigge ein gutes Zuhause und ist froh, dass hier der Hygge-Lifestyle Pause machen darf.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Krimi nicht lesen:

Korruption, Nachrichtenmanagement, Traumatisierung des Ermittlers, Kindeswohl, Familientragödien, junge Frauen, die in die Prostitution getrieben werden, Spionage und drei „Gute“ oder vielleicht sogar vier, die Menschen unterstützen.

Pascal Engman:

ist ein erfolgreicher wie aufstrebender schwedischer Krimiautor.

Johannes Selaker:

hat als Nachrichtenleiter und Chefredakteur bei „Aftonbladet“ und „Expressen“ gearbeitet.

Pascal Engman/Johannes Selaker:
Wintersonnenwende.
Aus dem Schwedischen von Ulla Ackermann.
Berlin: Ullstein 2024.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 22.08.2024
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