Die Autorin spricht Klartext: Protest sei eben auch ein großes „Fick dich!“ – rau, vulgär und ehrlich. Aber unverzichtbar. Vielleicht möchten die SkeptikerInnen mehr Pastellfarben in den grellen Protest mischen. Das gehe jedoch nicht – auch hier ist die Autorin deutlich.
Plädoyer für eine offenere Diskussionskultur
„Aber nicht jeder Protest hat das gleiche Gewicht, er ist geprägt von Privilegien und Klassenfragen.“
Zügig skizziert M’Barek Protest auch in seiner Gewichtung als Partizipationsmöglichkeit derjenigen, die außerhalb des Systems agieren. Und schon bekommt man eine klare Darstellung des Wertes der Empathie „geliefert“: Egal, wie lästig man den Protest anderer auch empfinde, so sei er doch auch eine enorme politische Kraft. Ja, man selbst macht etwas Gutes, die anderen protestieren dagegen – hier beginnt die Auseinandersetzung. Schön wäre es, gäbe es dazu die passende Portion Empathie.
„Ja, wenn der Straßenklimakleber nervt, muss man demokratisch gesehen trotzdem die Fähigkeit besitzen, zu verstehen, weshalb er es tut. Mit einem Appell an die Empathie und dem Wunsch zu verstehen, wieso Menschen Dinge tun, könnte die sogenannte Moralisierung gut ersetzt werden.“
Die Bezeichnung der ImpfgegnerInnen als Nazis erscheint hier ebenso verwässernd wie die Beschimpfung der KlimaaktivistInnen als TerroristInnen: Es ist der Protest, der das Problembewusstsein schärft, der aber eben gut ohne Schwarz-Weiß-Klischees auskommt.
„Und zuletzt: Kollektive Anliegen können nicht politisch gefärbt sein. Klimaaktivismus ist nicht links. Arbeiterbewegung ist nicht links. Kämpfen für Diskriminierte darf nicht links sein … Wer verändern will, muss sich über seine eigene Position im Klaren sein.“
Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Essay aus Protest nicht lesen:
Klugheit, klare Sprache, feine Worte, Erörterung alltäglicher Begebenheiten in einem größeren Kontext, Forderung, die eigenen Positionen zu überdenken, ein ausführliches Quellenverzeichnis, einen wohl durchdachten Anhang mit Anmerkungen.
Yasmine M’Barek:
lebt in Köln und Berlin, hat die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft besucht und ist Redakteurin bei „Zeit Online“ im Ressort X. Sie ist regelmäßig bei politischen TV-Talks zu Gast und Host des „Zeit Online“-Podcasts „Ehrlich jetzt?“.
Yasmine M’Barek:
Protest.
Über Wirksamkeit und Risiken des zivilen Ungehorsams.
Graz – Wien – Berlin: Leykam 2023.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at