Stevie Schmiedels Buch bietet einen differenzierten Blick auf aktuelle Ereignisse und Strömungen des Feminismus. Hier schreibt eine Wissenschaftlerin, die der deutschen Mehrheitsgesellschaft die Angst vor Neuem nehmen will und die daran glaubt, dass der „Genderwahn“ gut ausgeht.
Wider das Gemetzel im Feminismus
Stevie Schmiedel darf das: sagen, dass sie das Gemetzel im Feminismus bedrohlich findet, dass sie gelegentlich keine Lust aufs Gendern hat, dass sie mit dem Mann im Gespräch bleiben will, der ihr Auto repariert und Gendern blöd findet. Sie will dort klare Worte anbringen, wo es nötig ist, und Verständnis dort, wo es dessen bedarf, bevor man zur Klarheit findet. Dennoch zischt sie ihren Vater an, der eine Person „Transvestit“ nennt: Kennt Vater nicht die korrekte Bezeichnung? Warum Schmiedel das alles darf: Sie hat Pinkstinks gegründet, sie hält Vorträge, sie hält Kritik aus, sie schaut hin und nicht weg. Aber sie spielt sich nicht zur Oberrichterin auf, das ist der Punkt!
Das Buch liest sich leicht, es bietet einen differenzierten Blick auf aktuelle Ereignisse und Strömungen. Dass hier auch vom Älterwerden, von Wechselbeschwerden im Kontext von Wokeness die Rede ist, ist neu in der Debatte. Alice Schwarzer steht immer wieder in der Kritik, viele übersehen dabei die Verdienste, die sie für den Feminismus und für die Frauen errungen hat. Wer darf was sagen oder darf man heute überhaupt noch etwas sagen? Das wäre, so die Autorin, doch das Ende jeder Debatte. Könne man nicht einfach mal zuhören, dann gern auch widersprechen, Einspruch erheben, die eigenen Argumente vorbringen – nein, der Shitstorm weht durch die sozialen Medien und schon ist wieder eine kluge Frau in eine Schublade gesteckt.
„Denn wenn wir uns aus der Unterdrückung im Patriarchat – aus der Benennung als Frau, die gegenüber dem Mann stets als mangelhaft verstanden wird – wirklich befreien wollen, hilft es nicht, das Wort ‚Frau‘ neu zu definieren. Mit einem einheitlichen Oberbegriff riskieren wir immer wieder unsere eigene Stereotypisierung.“
Schmiedel verweist darauf, dass gerade ältere Frauen das Erreichte verteidigen, das sie bei aller Diskriminierung erarbeitet beziehungsweise erstritten haben. Dann kommt eine trans Frau, will zu ihnen gehören? Hat aber bisher als Mann so viele Vorzüge genossen, Karriere gemacht? Oder doch nicht? Ist der Mann im „falschen Körper“ auch diskriminiert worden, hat er weniger verdient als andere Männer? Hier wirft die Autorin große Fragen auf. Man müsse diese Fragen gemeinsam besprechen, dürfe sie doch denken und äußern, ohne als Transgender-FeindIn verurteilt und geshitstormt zu werden.
„Vielleicht lassen wir die anderen einfach machen, schauen mit Neugier hin, wenn wir Kraft und Zeit haben, aber konzentrieren uns auf das, was für uns ansteht. Wenn wir diese radikal neue Lässigkeit aufbringen können, ist so viel gewonnen.“
Was Sie versäumen, wenn Sie dieses aufrüttelnde Sachbuch nicht lesen:
Differenziertheit zu jeder Frage, Auseinandersetzung mit Genderfragen, Reflexion mit Geschlechterrollen und -determiniertheiten, Plädoyer fürs Miteinanderreden, viel Biografisches, viel Verständnis für Differenzen der Feministinnen-Generationen, Klarheit im Ausdruck und Weichheit für die Verletzlichkeiten von Frauen in ihrer Menopause, in ihrem täglichen Gefordertsein.
Stevie Meriel Schmiedel:
1971 geboren, ist Deutsch-Britin und promovierte Kulturwissenschaftlerin mit Schwerpunkt Genderforschung. Sie lehrte an Hamburger Hochschulen und gründete 2012 Pinkstinks, die reichweitenstärkste Bildungsorganisation gegen Sexismus in Deutschland.
Stevie Schmiedel:
Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne.
Warum uns ein bisschen Genderwahn guttut.
München: Kösel Verlag 2023.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
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