Fritz Bergundthal ist Junggeselle, gewissenhaft und beobachtet akribisch seine Umgebung. So ist es nur folgerichtig, dass er Züge liebt.
Zahlen sagen mehr als alles andere
Fritz Bergundthal reist ins Tessin und fotografiert am Gotthard Züge: Dass er dabei in Turbulenzen gerät, konnte er einfach nicht voraussehen. Dabei hat er sich doch so gut vorbereitet. Er hat in seiner Heimatstadt Berlin sogar einen Italienischkurs belegt und will alles richtig und dazu noch wunderbare Fotos machen. Er ist Steuerexperte und -berater, entdeckt Unregelmäßigkeiten sofort und weiß sie auch im Privatleben seiner KundInnen zu verorten: Die eine erfundene Geschäftsreise hier und das andere gefakte Geschäftsessen dort bringen ihn schon lange nicht mehr aus der Ruhe. So sinniert er am Campingplatz und beobachtet seine NachbarInnen wie den Kater, der es sich auf der rumpelnden Waschmaschine gemütlich macht.
„Bergundthal hatte wenig Erfahrung mit Frauen für sein Alter, immerhin war er schon fünfzig. Das Erotische hatte ihn nie sonderlich interessiert ...“
Den hier so ruhig vor sich hin denkenden Berliner nehmen bald die sich überstürzenden Ereignisse in Beschlag: Da kommt der 29-jährige Robert Filz, der Dauergast im örtlichen „Laufhaus“ ist, da trampelt Flavia Polli zu ihm – und das auch noch rauchend. Ja, es geht Richtung Gotthardtunnel, Richtung Mord, Richtung Lebenslüge. Flavias Mutter Dora Polli sinniert inzwischen über das Leben und erkennt, dass sie die Kontrolle über das Leben ihres Mannes Aldo zu verlieren beginnt:
„Wo Aldo schon wieder war? Sie hatte sein Leben überhaupt nicht mehr unter Kontrolle. Früher, als sie Kantinenchefin gewesen war, hatte sie alles unter Kontrolle gehabt, Aldo sowieso.“
Es ist 12:23, als Tonino Aldos Helm „aus dem Himmel in die Hände fällt“ und das mit Aldos Kopf darin. Tonino wirft Helm und Aldos Kopf weit von sich, sodass beides auf der Ladefläche eines vorbeifahrenden Pick-ups landet. Bergundthal trifft man wieder, hat er doch den Pick-up gelenkt: Er sitzt im abgedunkelten Zimmer, die letzten drei Ausgaben der Schweizer Eisenbahn-Revue neben sich. Grotesk, humorvoll, exakt: So hat Zora del Buono diese Reise, diese unzähligen Episoden und Charaktere geplant, ins Leben geschickt und miteinander verbunden.
Was Sie versäumen, wenn Sie diese Novelle nicht lesen:
Faktenwissen, Hintergrundwissen, viel über Eisenbahnen und deren Fans, Verstrickungen und Verwirrungen, sogar Intrigen, Präzision in der Schilderung, Akribie in den Abläufen der Handlungsstränge.
Zora del Buono:
1962 in Zürich geboren, studierte Architektur an der ETH Zürich und arbeitete mehrere Jahre als Bauleiterin in Berlin nach der Wende. Sie lebt in Zürich, veröffentlichte Romane und ist Gründungsmitglied der Zeitschrift „mare“.
Zora del Buono:
Gotthard.
Zürich: Diogenes 2024.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
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