Eine müde, erschöpfte Frau springt am 29. Januar 2008 in den Tod: Sie hat aufgehört, ihre Durchhalteparole zu memorieren, und fürchtet sich davor, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Am 23. August 2008, einem Samstag, bemerkt ein Ehepaar sonderbare Vorgänge in der Bucht und weiß, dass es jetzt um Leben und Tod geht.
Geheimnisse und Lügen einer Nacht
Hier schreien nicht die Möwen, hier schreien Menschen. Gleich zwei brutale Einstiege legt die Autorin vor, bevor sie die Ermittlerin auf den grauenvollen Fund stoßen lässt: Eine Familie wurde hingerichtet, die kleine Tochter wurde erstickt, die ältere Tochter überlebt wie durch ein Wunder. Bereits auf Seite 27 ist man lesend ins Jahr 2023 „gesprungen“ und zittert mit Iris Shaw, die im letzten Bus sitzt, der bis Haviland Park fährt: Da stellt sich ihr ein junger Mann mit Ellis Craig vor, die Spannung steigt. Man erfährt auch, dass diese Iris eine panische Angst vor dem Überqueren von Brücken hat und seit geraumer Zeit gestalkt wird. Und da lernt man auch Detective Inspector Kate Linville kennen: privat weniger erfolgreich als beruflich, durchaus kritisch und denen, denen sie vertraut, sehr zugetan. Sie lässt ihre zwei besten Freunde nie hängen, kümmert sich um sie und gibt nicht zu, ob sie in den einen verliebt ist.
Link spinnt ein Netz aus unterschiedlichen Episoden, zeigt die Verlorenheit der Menschen, lässt besonders Iris Shaw so manche Geheimnisse bewahren und zieht irgendwann gekonnt das Netz zusammen. Es bestehen Zusammenhänge zwischen dem Niedermetzeln der Familie vor Jahren und dem getöteten Ehepaar in der Bucht nebenan: Rache ist hier ein sehr starker Motor der einzelnen Charaktere. Doch auch die Liebe hat ihren Platz, mehr als sie im Leben von Kate Linville und ihrem besten Freund und Ex-Kollegen Caleb Hale haben sollte. Irgendwie ist Kate beruhigt, dass sich Caleb bemüht, sein Alkoholproblem mit beziehungsweise auf einer Reise in den Griff zu bekommen, andererseits führt ihn gerade diese Reise mitten in einen Fall, der komplizierter nicht sein könnte.
„Kate wünschte, sie könnte konkretere Fragen stellen. Aber das war das Problem: Sie hatte nichts Konkretes. Nur Ahnungen, Vermutungen, ein undefinierbares Unbehagen. Sie konnte nur stochern und hoffen, dass sie auf irgendetwas Brauchbares stieß.“
Ein Roman, der zeigt, wie manipulierbar junge Menschen sein können und wie verlogen Erwachsene sind: Einer, der an das Gute in sich und besonders in einer geliebten Frau glaubt, wird ermordet. Die Tatsache, dass selbst die besten Ermittlerinnen und Ermittler nicht alle kriegen können, macht nicht nur Caleb zu schaffen. Dass einer, der seine Tochter missbraucht und ermordet hat, davonkommt, zeigt, wie seriös dieser Thriller konstruiert ist: Hier wird wohl ein alter Fall gelöst, aber viele Verbrecher sind noch frei, hungrig auf das nächste Opfer. Ein wenig Gerechtigkeit lässt Charlotte Link schon walten, aber auch nicht so viel, dass man nach der Lektüre gänzlich beruhigt einschlafen könnte.
Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Thriller nicht lesen:
verworrene Beziehungen, unerwartete Wendungen, fragile Charaktere, keine Schwarz-Weiß-Zeichnungen der handelnden Personen, Brutalität und Manipulationen, viel Zärtlichkeit und ebenso viel Verzweiflung, eine besondere Ermittlerin.
Charlotte Link:
ist in Frankfurt/Main geboren. Sie schreibt internationale Bestseller, ihre Bücher rangieren auf den ersten Plätzen der Bestenliste. Nach der Lektüre weiß man auch, warum.
Charlotte Link:
Dunkles Wasser.
Ein Kate-Linville-Thriller.
München: blanvalet 2024.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
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