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03/25

Buchempfehlung: „Der Bademeister ohne Himmel“

Buchempfehlung: „Der Bademeister ohne Himmel“

Die Ich-Erzählerin Linda ist 15 Jahre alt und hart mit sich und anderen: Sie hat einen klaren Blick auf ihre Mutter und ihren gewalttätigen Alkoholiker-Vater, der zum Glück nicht mehr mit ihnen lebt.

Das kleine Glück riecht nach Apfelkuchen

Linda mag die polnische Pflegerin von Hubert, dem 86-jährigen Nachbarn, die sie manchmal gegen „kleines“ Geld unterstützt. Und Ewa, die Pflegerin, mag es, auch einmal eine kleine Auszeit zu bekommen und einen Tratsch mit ihrer Freundin auf Polnisch abseits der Wohnung zu führen.

„Dank der Nachmittage bei Hubert ist meine Woche gut strukturiert. Gegenüber meinen Klassenkameraden bin ich da klar im Vorteil. Ich brauche nicht zu überlegen, was ich mit meiner Zeit anfange.“
Seite 16

Linda hat einen guten Freund, den Weltenretter Kevin. Auch er verzweifelt häufig an der Welt – global und im Kontext des eigenen Familiengefüges. Linda möchte eigentlich in ein Auto laufen und sterben, aber sie will weder Hubert noch Kevin zurücklassen. Außerdem will sie nicht ihre Mutter, frisch verliebt wie die gerade ist, kränken. Auch wenn Mutter häufig nervt, hat Linda eine gewisse Nähe zu ihr: Ja, wie hat die Mutter immer durchgehalten im Zusammenleben mit dem Vater, wie sehr würde sie sich ein wenig Urlaub, eine gute Zeit wünschen? Huberts Tochter kommt hingegen schwer mit der Situation zurecht. Sie ist froh, dass Linda Nachmittage mit ihrem Vater verbringt, ist aber auch immer im Zweifel, ob wohl alles richtig gemacht wird. So beäugt sie die vielen Salben und Kerzen und Rituale der Pflegerin Ewa doch recht kritisch, aber was bleibt ihr anderes übrig? Nein, zu sich kann sie den Vater nicht nehmen.

Linda weiß, wie gern Hubert als Bademeister im städtischen Schwimmbad gearbeitet hat und wie stolz er darauf ist, dass unter seiner Aufsicht kein einziges Kind ertrunken ist. In der Wohnung entdeckt Linda sogar noch eine Reihe an Schwimmflügeln, die Hubert sofort und mit Leidenschaft der Größe nach ordnet. Überhaupt muss alles seine Ordnung haben, findet er. Wo nur seine Frau bleibt? Warum braucht sie heute so lange zum Einkaufen? Diese kleine Lüge hat ihm Linda erzählt, da sie ihn nicht irritieren will: Huberts Frau ist gestorben, er kann sich nicht mehr an ihren Tod, die Beerdigung et cetera erinnern. Linda macht sich selbst enorm viele Gedanken übers Sterben, den Tod, das Totsein.

„Das Unpraktische am Totsein ist, dass man nichts richtigstellen kann. Kevin wird sauer auf mich sein und ich werde nichts dagegen tun können. Er wird sich fragen, ob Freunde, die sich das Leben nehmen, je wirklich Freunde waren, und je länger ich darüber nachdenke, umso besser verstehe ich ihn.“
Seite 93

Linda begleitet Kevin sogar zu dessen Vater Siegbert, der in einer Einzimmerwohnung lebt, die randvoll mit Notenblättern ist. Siegbert ist so desinteressiert wie Kevin aufgeregt ist. Der Vater erzählt von seinen Reisen, den nächsten Auftritten – beeindruckend, aber das wollte Kevin vermutlich nicht wissen. Hubert kann Linda wenigstens mit der Rotlichtlampe wärmen, wenngleich sie auch nicht sicher ist, ob sie ihn mit ihren Gesprächen oder Berührungen überhaupt noch erreicht. Jetzt liegt er im Pflegebett, wird immer schwächer, während er ins Leere zu starren scheint.

„Die Entscheidung zu gehen, fällt mir mit jedem Mal schwerer. Wie soll man wissen, ob alles gesagt ist oder ob es noch etwas zu sagen gibt? Ewa hat es einfacher. Sie pflegt Hubert nach Plan, macht ihr Ding und alles ist safe.“
Seite 294

Selten habe ich so eine gelungene Verbindung zwischen einer Jugendlichen und einem Erwachsenen gelesen: Hubert taucht ab, Linda zieht sich zurück und dennoch treffen sie sich in ihren Gedanken so manches Mal.

Was Sie versäumen, wenn Sie diese Geschichte nicht lesen:

Liebe, Beziehungsgeflechte, den kritischen Blick einer 15-Jährigen, verletzte Menschen im Ringen um ein wenig Glück, Pflegerinnenleben, Erinnerungen, Innenleben der Pubertierenden, Tiefe und Abgründe, aber doch auch ein wenig Hoffnung.

Petra Pellini:

1970 in Vorarlberg geboren, lebt und arbeitet in Bregenz. Sie hat lange in der Pflege demenzkranker Menschen gearbeitet. Der vorliegende Roman ist ihr Debüt.

Petra Pellini:
Der Bademeister ohne Himmel.
Hamburg: rowohlt 2024.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

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  • Veröffentlicht: 24.11.2024
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