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Arbeitslosigkeit: „Frauen trifft die Sparpolitik doppelt“

Arbeitslosigkeit: „Frauen trifft die Sparpolitik doppelt“
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  • Veröffentlicht: 05.11.2025
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Die Arbeitslosenquote steigt – und vor allem Frauen sind betroffen. Wie können wir gegensteuern? Darüber haben wir mit Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel gesprochen.

Die Arbeitslosigkeit steigt wieder – und zwar bei Frauen deutlich stärker als bei Männern. Woran liegt das, und was müsste sich ändern, damit sich der Trend wieder dreht? Ein Gespräch mit dem Wiener Wirtschaftssoziologen Bernhard Kittel, über strukturelle Ungleichheiten, politische Versäumnisse und gesellschaftliche Muster, die sich hartnäckig halten.

Warum steigt die Arbeitslosigkeit bei Frauen aktuell so überproportional stark an?
Bernhard Kittel: Wenn man sich die aktuellen Arbeitsmarktdaten ansieht, sieht man: Die Frauenarbeitslosigkeit ist rund 75 Prozent mehr gestiegen als jene der Männer – also fast doppelt so stark. Besonders auffällig ist der Anstieg im Bereich Gesundheit und Sozialwesen, außerdem bei Personen mit akademischer Ausbildung und bei Menschen mit Behinderung. Da sprechen wir von zweistelligen Zuwachsraten – und sie deuten auf etwas anderes hin als die übliche Erklärung, dass Frauen in prekären Branchen überrepräsentiert sind.

Welche Erklärung vermuten Sie dahinter?
Wir müssen das differenziert betrachten: Im Gesundheitswesen wächst die Beschäftigung eigentlich, dort fehlt es eher an Fachpersonal. Aber im Sozialwesen scheint sich das Bild gedreht zu haben: Noch vor kurzer Zeit konnten sich viele im sozialen Bereich ihren Job aussuchen, jetzt ist es umgekehrt. Meine Vermutung: Das hängt mit Budgetkonsolidierungen zusammen – also mit Sparmaßnahmen, die genau diesen Bereich treffen.

Das heißt, wir sehen jetzt die Folgen der Sparpolitik?
Das könnte sehr gut sein. Wenn das AMS etwa keine Förderprogramme mehr finanzieren kann oder Projekte im Sozialministerium gestrichen werden, betrifft das oft direkt Frauen.

Warum sind vor allem Frauen betroffen?
Viele Programme waren speziell für sie gedacht – Weiterbildungsmaßnahmen oder Nachqualifizierungen etwa. Und das ist der entscheidende Punkt: Der Sozial- und Bildungsbereich ist stark weiblich geprägt. Wird dort gespart, trifft es Frauen gleich doppelt – die Beschäftigten im Sozialbereich verlieren ihre Jobs und die Programme, die anderen Frauen beim Wiedereinstieg helfen könnten, werden gecancelt.

Also steigt deshalb die Arbeitslosenquote von Frauen vor allem in diesem Jahr so stark?
Zumindest ist es eine schlüssige Erklärung. In den Vorjahren war der Unterschied zwischen Männern und Frauen in Arbeitslosigkeit nicht annähernd so groß. Und das Muster – Kürzungen im Sozialbereich, steigende Arbeitslosigkeit bei Frauen – passt sehr gut zusammen.

Dabei wird das Sozialministerium von der SPÖ geführt.
Das stimmt. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet dort offenbar stark gespart wird. Gleichzeitig wird ein Wirtschaftsankurbelungsprogramm aufgelegt, das laut Expert:innen reine Mitnahmeeffekte erzeugt. Das ist schon eine seltsame Prioritätensetzung – man will Wirtschaft fördern, aber spart an sozialer Infrastruktur, welche dazu beiträgt, Menschen – insbesondere Frauen – arbeitsmarktfit zu machen.

Sie forschen zu marginalisierten Gruppen in der Wirtschaft. Würden Sie Frauen auch dazu zählen?
Ich finde den Begriff in diesem Zusammenhang schwierig – immerhin sprechen wir über die Hälfte der Bevölkerung. Aber natürlich gibt es klare Strukturen der Benachteiligung. Je höher die Ebene im Unternehmen, desto weniger Frauen finden sich dort. Im mittleren Management sind sie noch gut vertreten, danach wird’s dünn.

Ein weiteres Signal: Der jährlich begangene Equal Pay Day.
Der Gender Pay Gap ist ein großes Thema. In Österreich liegt er nach wie vor bei rund 18 bis 20 Prozent. Selbst dann, wenn man alle erklärbaren Faktoren herausrechnet, bleibt mehr als die Hälfte der Differenz bestehen – das ist also schlicht Diskriminierung.

„Wenn im Sozial- und Bildungswesen gekürzt wird, trifft das Frauen besonders stark.“
Bernhard Kittel

Wir erleben außerdem eine Rückkehr zu traditionellen Rollenbildern in der Gesellschaft. Wirkt sich das auch auf die Wirtschaftskraft von Frauen aus?
Wenn die gesellschaftliche Debatte wieder stärker in Richtung „Zurück zur Familie“ driftet, hat das Folgen. Viele Frauen erleben eine extreme Doppelbelastung zwischen Beruf und Care-Arbeit – und manche entscheiden sich dann irgendwann, komplett aus dem Job auszusteigen. Auch, um dem Druck der Anforderungen, denen Frauen heute ausgesetzt sind, zu entfliehen. Auf dem Land ist das besonders häufig der Fall. Und mal ehrlich: Wenn der Kindergarten nur von 8 bis 12 Uhr geöffnet hat – was soll man sonst machen?

Ja, Herr Kittel – was soll man da tatsächlich machen?
Ganz klar: flächendeckende Kinderbetreuung. In manchen Bundesländern wie Niederösterreich hat sich bereits etwas verbessert, aber wir sind weit davon entfernt, dass jedes Kind wirklich betreut werden kann. Das wäre eine der wichtigsten Maßnahmen überhaupt.

Für viele Frauen beginnt das Problem schon vor dem ersten Kind – ab einem gewissen Alter ist der Kinderwunsch bereits im Bewerbungsprozess Thema.
Ja, und das hat strukturelle Gründe. Arbeitgeber fürchten Ausfälle. Wenn eine Frau schwanger wird und zwei Jahre ausfällt, ist das für kleine Betriebe eine große Belastung. Eigentlich müsste Elternzeit für Männer und Frauen gleich selbstverständlich sein – dann würde sich das Risiko verteilen. Solange das nicht passiert, bleibt das alte Muster: Er verdient mehr, sie bleibt zu Hause. Das ist oft eine ökonomische Entscheidung, aber sie führt Frauen in die Falle. Studien zeigen, dass der größte Einkommensknick bei Frauen mit dem ersten Kind kommt – und dass er dann lebenslang bestehen bleibt.

Wenn Frauen nach Jahren wieder einsteigen möchten – wie kann man sie dabei unterstützen?
Programme wie die Frauenstiftung Wien, die Wiedereinstieg und Weiterbildung fördern, sind sehr sinnvoll. Aber es kommt auf den Beruf an: In manchen Handwerken altert Wissen langsam – da kann man einfach wieder anfangen. In anderen Bereichen, etwa im Büro, hat die Digitalisierung das Berufsbild völlig verändert. Da ist der Einstieg ohne gezielte Fortbildung schwer. Und natürlich ist es schwieriger, aus der Arbeitslosigkeit heraus einen Job zu finden. Teilzeitarbeit spielt dabei auch eine große Rolle – und die ist in Österreich gesellschaftlich noch immer abgewertet.

Wie könnte man das ändern?
In Ländern wie den Niederlanden ist Teilzeit völlig normal – auch in Führungspositionen. Dort arbeiten Paare mit Kindern meist beide 20 bis 30 Stunden pro Woche und sind beide gleichermaßen für die Kinderbetreuung verantwortlich. Das ist gesellschaftlich akzeptiert. Bei uns gilt Arbeit noch immer vor allem dann als vollwertig, wenn sie als Vollzeit plus Überstunden gestaltet wird. Diese Vorstellung ist ein kulturelles Problem. Solange das so bleibt, wird Gleichstellung schwer.

Sie sprechen eine Arbeitszeitdebatte an, wie sie die Gen Z schon länger fordert. Viele kritisieren die Generation deshalb als „arbeitsfaul“.
Diese Generation ist nicht faul, sie ist klug. Sie arbeitet effizient, zieht klare Grenzen und hat ein Leben außerhalb des Jobs. Meine Generation, die Gen X, ist die Burn-out-Generation. Unsere Kinder haben gesehen, was das mit Menschen machen kann und ihre Lehren aus unseren Fehlern gezogen. Das ist eigentlich bewundernswert – auch wenn es für manche von uns mitunter unbequem ist.

Über Arbeitszeit diskutieren kann, wer Arbeit hat. Was können wir tun, um die steigende Arbeitslosigkeit aufzuhalten?
Zuerst müssen wir verstehen, was gerade passiert. Einerseits erleben wir technologische Umbrüche – viele Routinejobs verschwinden durch Digitalisierung und KI. Neue Jobs entstehen, aber langsamer. Diese Übergangsphasen führen fast immer zu höherer Arbeitslosigkeit. Deshalb wäre vorausschauende Weiterbildung zentral – für uns alle. Und parallel dazu ist es wichtig, dass die Sparpolitik nicht die falschen Bereiche trifft. Wenn im Sozial- und Bildungswesen gekürzt wird, trifft das Frauen besonders stark. Es geht also nicht nur um Zahlen, sondern um Prioritäten. Und wichtige Fragen, die wir uns alle stellen sollten: Wie wollen wir als Gesellschaft leben – und wer trägt die Last der Sparpolitik?

Foto: Luiza Puiu

Zur Person

Bernhard Kittel ist Professor für Wirtschaftssoziologie an der Universität Wien. Seine Forschungsarbeiten befassen sich unter anderem mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, mit marginalisierten Gruppen wie Jugendlichen und Flüchtlingen am Arbeitsmarkt, oder mit der intergenerationalen Weitergabe von Arbeitswerten. Er ist Experte für experimentelle sozialwissenschaftliche Forschung. Einer größeren Öffentlichkeit wurde er als Initiator und Leiter des Austrian Corona Panels bekannt, das wesentlich zur Datenbasis für die Analyse der gesellschaftlichen Folgewirkungen der Pandemie in Österreich beigetragen hat.

Leonie Zimmermann

Chefredakteurin Digital

In Deutschland 1993 geboren und aufgewachsen, nach dem Journalistik-Studium, einer Selbstständigkeit und mehreren Stationen in deutschen Medienhäusern, darunter das RedaktionsNetzwerk Deutschland und das Wochenmagazin stern, seit März als Chefredakteurin digital für Welt der Frauen tätig. Faible für Psychologie, Reisen, Feminismus – und die digitale Welt.

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Foto: Barbara Aichinger


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